Die Zukunft von Bio

  21.09.2023 Reportagen

Jahrzehntelang führte der Bio-Boom die Debatte über die Ernährungsqualität an und revolutionierte den Lebensmittelsektor. Mit welchen Herausforderungen sind Produzenten biologischer Lebensmittel heute konfrontiert?

Die Schweizer Konsument:innen greifen laut Bio Suisse trotz steigender Lebenshaltungskosten und gedämpfter Stimmung häufig zu Bio-Produkten. Der Marktanteil lag im 2022 bei 11,2 Prozent und ist gegenüber dem Vorjahr um 0,3 Prozent gestiegen. Das entspricht einem Volumen und also einem Jahresumsatz von 3,8 Milliarden Franken. 2019, vor Corona, lag der Umsatz bei 3,2 Milliarden Franken. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 200 Millionen Franken folgt der Bio-Umsatz dem langfristigen Positiv-Trend. «Bio wächst kontinuierlich weiter», freut sich Urs Brändli, Präsident von Bio Suisse. Der Pro-Kopf-Konsum lag mit 439 Franken leicht unter 2020. Aktuell sind rund 7560 Betriebe Knospe-zertifiziert. Mit dem frischen Label «Bio Cuisine» bedient Bio Suisse neu ein grosses Bedürfnis nach Bio-Produkten auch in der Gastronomie. 18 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden in der Schweiz biologisch bewirtschaftet.

Die Produzenten biologischer Lebensmittel stehen jedoch aktuell vor etlichen Herausforderungen. Der Bio-Boom hat laut Zukunftsforschenden die Lebensmittelindustrie zwar transformiert, aber die Zukunft erfordert Anpassung und Innovation, um die Bedürfnisse der Verbraucher:innen zu erfüllen und gleichzeitig Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu fördern.

Erfolgsgeschichte mit neuen Zielen
Der ökologische Landbau hat sich nach dem ersten Weltkrieg als Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung und die ökologische und ökonomische Krise der Landwirtschaft und Landbauwissenschaften entwickelt. Probleme wie Bodenverdichtung, Bodenmüdigkeit, Saatgutabbau und Zunahme von Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall führten zu sinkenden Erträgen und abnehmender Nahrungsmittelqualität. Der organisch-biologische Landbau wurde ab den 1950er-Jahren mit der vom Agrarpolitiker Hans Müller geleiteten Schweizerischen Bauernheimatbewegung begründet. 1971 wurde der eingetragene Verein «bio-gemüse» gegründet, der Vorläufer der verbreiteten Bioland-Anbauvereinigung für Bio-Lebensmittel, ab 1976. Bio Suisse feierte im 2021 seinen 40. Geburtstag.

Bio-Produkte sind unbestritten sehr beliebt, ob aus kleinen Natur- und Reformläden, Hofläden oder grossen Supermärkten. Umweltschutz, Ökologie und Tierwohl sind heute gesellschaftliche Kernthemen. Die biologische Landwirtschaft und ihre Lebensmittel geniessen denn einen beachtlichen Stellenwert, doch stehen sie aktuell vor neuen Herausforderungen im Zusammenhang etwa mit Veganismus, Ernährungssicherheit, Regionalität, Pricing, Nachhaltigkeit und Klima.

Gemäss Markt- und Trendstudien, etwa vom Gottlieb Duttweiler Institute (gdi) befinden wir uns ernährungstechnisch zudem global derzeit: «in einer Sackgasse.» Denn: Unser Ernährungssystem ist für zirka einen Drittel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. 50 Prozent aller weltweit konsumierten Kalorien stammen von gerade einmal drei Pflanzenarten. Ihr Anbau erfolgt grossflächig in Monokulturen, mit zu viel Dünger und Pestiziden, was zu einem grossen Rückgang der Biodiversität führt. Zudem nimmt der Hunger zu und Mangel- sowie Fehlernährung machen uns krank.

Stichwort: Vegan
Die wachsende Veganmania stellt die biologische Landwirtschaft vor Herausforderungen. Veganismus steht nicht nur für ethische Prinzipien, sondern auch für Klimaschutz. Dies wirft Fragen zur integrierten Bewirtschaftung von Höfen mit Pflanzen und Tieren in der Bio-Landwirtschaft auf. Die Konkurrenz durch pflanzliche Ernährung wächst, und Bio muss sich auch dahingehend anpassen.
Zum Stichwort: Ernährungssicherheit betont die Planetary Health Diet den Zusammenhang zwischen persönlicher und planetarer Gesundheit. Bio steht vor der Aufgabe, sich mit dieser Bewegung auseinanderzusetzen und Antworten auf die globalen Herausforderungen der Ernährungssicherheit zu finden. Die biologische Landwirtschaft allein könnte dies nicht gewährleisten.

Die steigenden Lebensmittelpreise aufgrund von Inflation und weltweiten Ereignissen treffen zudem auch die Bio-Landwirtschaft. Trotz der Vermeidung teurer chemischer Düngemittel und geringerer Futtermittelkosten sind Bio-Produkte für viele Haushalte zu teuer geworden. Fleisch in Bio-Qualität ist besonders betroffen, und die Nachfrage nimmt ab. Die Bio-Branche hat es lange versäumt, starke Bio-Marken zu etablieren. In Zeiten rückläufigen Wachstums rächt sich dieser Mangel an Marketingbemühungen. Die Branche täte daher gut daran, ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Verbraucher:innen zu entwickeln und vertrauenswürdige Marken aufzubauen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, so raten Zukunftsforscher:innen und Branchenkenner:innen.

Region und Klima
Die Wertschätzung für natürliche Lebensmittel und die Betonung von Regionalität verwischen die Grenzen zwischen biologischer und natürlicher Ernährung. Die Bio-Branche sollte sich auf den regionalen Aspekt konzentrieren und klarstellen, was «regional» bedeutet, um die Verbraucher besser anzusprechen. Nachhaltigkeit ist ausserdem ein Kerngedanke geworden, der auch von konventionellen Lebensmittelproduzenten verfolgt wird. Die Bio-Branche sollte daher ihre Nachhaltigkeitsbemühungen besser kommunizieren, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Gleichzeitig darf sie nicht in den Schatten von Nachhaltigkeitskampagnen grosser Handelsketten geraten. Zu guter Letzt betrifft das veränderte Klima sowohl die konventionelle als auch die biologische Landwirtschaft. Die biologische Landwirtschaft erweist sich jedoch als resilienter, also widerstandsfähiger. Dennoch dürfte da Bio als Lösung in Zukunft noch besser wahrgenommen werden. Bleibt zu hoffen, dass auch die regenerative Landwirtschaft absehbar kein Nischendasein mehr fristen wird.
Barbara Marty

Weitere Informationen

www.bio-suisse.ch www.regenerativ.ch www.gdi.ch www.zukunftsinstitut.de

 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote