Ferien auf dem Frachtschiff

  28.03.2024 Reportagen

Ein ungeahnt genussvolles Erlebnis.

Nachdem mir die leckeren Bratkartoffeln aus Vladimirs Küche nun schon zum dritten Mal über den Tellerrand purzeln, steige ich beim Nachfassen auf den Suppenteller um. Bei diesem Seegang hilft auch die rutschfeste Gummi-Netzmatte nicht, mit welcher der Esstisch und überhaupt jede Ablagefläche – auch in der Kabine und auf der Kommandobrücke – ausgelegt ist. Es empfiehlt sich, die Kaffeetasse nicht bis obenhin zu füllen. Im Stillen hatte ich mich seit Anbeginn der Reise gefragt, warum die ausgesprochen ordentlichen Männer die angebrochenen Wasserflaschen im Essraum auf der Sitzbank in der Spalte zwischen den Kissen liegen lassen, statt sie einfach auf den Tisch zu stellen. Heute scheint sich vieles aufzuklären, wie beispielsweise der massive, metallene Bügel an der Gefrierschranktüre und sogar die beidseitigen Geländer im steilen Treppenhaus machen für mich nun Sinn.

Wenn ein über 8000-Tonnen-Koloss von 132 m Länge und 20 m Breite so heftig in Bewegung gerät, hat das nichts mit einer leichten Brise zu tun. Das war der Grund, der den Kapitän und seinen 1. Offizier in Alesund so rasch hat ablegen lassen. 7 bis 8 Beaufort entsprechen 60 –70 km/h Wind und werden in der Seefahrt als «steifer bis stürmischer Wind» eingestuft. Kommend aus Südwest, Niederschlag inklusive, bedeutet das für die MS RUMBA und ihre Besatzung bewegte Stunden auf der Route entlang der Küste runter zur letzten norwegischen Station. Ob es sich bei den Berichten über im Sturm verlorene Container um ein Seemannsgarn handle, will ich wissen und die Antwort kommt prompt und ernüchternd. Auch wenn die RUMBA nicht unbedingt zu dem Typ Schiff gehört, bei dem das häufig vorkommt, hätten sie auch schon welche verloren. 90% der weltweiten Ware werden per Frachtschiff transportiert. Obschon wir selten grossen Schiffen begegnen, ist das App Vesselfinder gespickt mit Containerschiffen und Tankern, die die grossen Häfen über den kürzesten Seeweg miteinander verbinden. Auch wenn sie nachschauen können, inte-ressieren sich die Seemänner kaum für den Inhalt der Container. Viel wichtiger ist das Gewicht für die Planung der Ladung und die Balance. Auf dem Rückweg von Norwegen nach Deutschland transportiert die MS RUMBA auffallend viele Kühlcontainer. Bei minus 24° C ziehen sie reichlich Strom aus dem Aggregat und stellen damit die Kühlkette für den Speise-Fisch sicher.

Das stetig seitliche Hin- und Herschaukeln verschafft jedem Geräusch ein Echo: Die am Haken an der Wand streifende Jacke, die dicht nebeneinander aufgehängten klirrenden Tassen, ja sogar der leicht klagende Gesang der Container, die sich unter den wirkenden Kräften bewegen. All das hat eine gewissermassen beruhigende Wirkung, das Einschlafen in der Koje unter dem ständigen Kippeln eingeschlossen. Wobei ich die Nächte, wenn immer möglich auf der Brücke, in einem der beiden hohen Kapitäns-Sessel beginne. Im Augenblick, in dem man aus dem beleuchteten Treppenhaus in die dunkle Brücke eintritt, scheint man zu erblinden. Aber schon bald hat sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt und ich erkenne die Fracht vor uns, die Bewegungen der Meeresoberfläche und vereinzelt Lichter von Schiffen am Horizont. Mit Maxim, dem 1. oder mit Egor, dem 2. Offizier sitze ich auf der Wache, manchmal in einer entspannten Ruhe und dann wieder in angeregte und teilweise sehr persönliche Gespräche vertieft, wie sie nur nachts auf hoher See passieren. Den Funksprüchen der Fischerboote lauschend, beobachte ich, wie der wachhabende Offizier seine Anzeigen überwacht, unaufgeregt antwortet und den Kurs am Drehrad des Autopilots verändert, um Kollisionen zu verhindern. Das Flackern der zahlreichen Monitore versetzt mich in eine wunderbare Müdigkeit. Eine gute Wache wünschend, rutsche ich vom bequemen Aussichtspunkt, begebe mich in meine Kabine, wo ich, ohne den Wecker zu stellen in einen tiefen Schlaf versinke.

Beim Ablegen in Bremerhaven, der letzten Station vor dem Zielhafen Hamburg, stehe ich draussen auf dem Steg vor der Brücke. Während auf der Sandbank gegenüber der Hafenmauer ein paar Seehunde die letzten Sonnenstrahlen einfangen, bemerke ich, dass die norwegische Flagge am Heck der deutschen gewichen ist. Ein sicheres Zeichen dafür, dass meine Reise bald zu Ende geht und mich überkommt ein Gefühl der Wehmut. Mir wird bewusst, wie sehr ich diese Tage auf See, unter der Fürsorge aber vor allem in Gesellschaft von ganz besonderen und inspirierenden Menschen, geniessen konnte. Das belebende Gefühl des Aufbruchs, das beim vibrierenden Starten der Motoren in mir aufsteigt oder das Erlebnis von Geborgenheit trotz – oder vielleicht gerade wegen – der unendlichen Weite, wird mir fehlen. Dankbar dafür, dass diese Erfahrung nachhaltig wirken wird und Spuren in mir hinterlässt, gebe ich mich den letzten Stunden dieser Schiffsreise hin, ohne zu ahnen, dass sich – für mich völlig unerwartet – nochmals eine aufregende Nacht anbahnt.

Mit einem letzten Bild dieses bestechend schönen Abendrots, verlasse ich leicht fröstelnd den Aussensteg der Brücke und begebe mich ins Innere des Wachdecks. Und wieder – wie schon in der ersten Nacht, als wir in Hamburg ablegten – ist der Kapitän nicht zugegen und ein fremder Mann sitzt am Steuer. In einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit, als wäre er seit Tagen an Bord, lenkt er das Schiff in Richtung Westen auf die Nordsee. Jetzt kann ich mir die Frage nicht mehr verkneifen und spreche ihn auf seine Funktion an. Sein Auftrag sei es, das Schiff durch das schwierige und teilweise flache Gewässer vor Bremerhaven ins offene Meer zu steuern. Ich muss ihn ungläubig angeschaut haben, jedenfalls beginnt er zu erklären. Er sei der Lotse und nach dem Erreichen der letzten Weg-Boje werde er das Schiff wieder verlassen. «Und zurück nach Bremerhaven schwimmen?» entfuhr es mir. Er lacht laut auf und erläutert, dass er von einem Boot abgeholt wird, das ihn auf eine Art Mini-Plattform bringt, bevor er wieder zu einem ankommenden Schiff gebracht wird, das er als ortskundiger Kapitän oder eben Lotse, in den Hafen steuert. Und tatsächlich, schon bald nähert sich der MS RUMBA ein hell beleuchtetes breites Versetzboot. Gebannt verfolge ich vom Aussensteg der Brücke das Absetzen des Lotsen bei einer Fahrt von 15 km/h. Flussaufwärts darf ich das Elbe-Lotsen-Team bis Hamburg nochmals über drei verschiedene Lotse-Etappen erleben. Durch eine funkgeführte, minutiös koordinierte Abstimmung und Profis auf jeder Position, wird jeder Kahn ab einer gewissen Grösse standardmässig durch lokale Lotsen in den Hafen und wieder hinaus gelenkt.

Im Hamburg bleiben der Crew 15 Stunden, um Auslauf-Bereitschaft herzustellen und während Seemann Deins Edvards die Kabine für meinen Nachfolger herrichtet, fährt mich der Shuttlebus vom umtriebigen Hafengelände und entlässt mich, etwas traurig, aber reich an unvergesslichen Erfahrungen, zurück ins Landleben. Astrid Schmid


Zur Autorin
Astrid Schmid, 51, gebürtige Bündnerin, lebt seit sieben Jahren in ihrer Wahlheimat Thun. Sie ist gelernte Notfall-Pflegeexpertin, Kauffrau und arbeitet beim IT Provider der Schweizer Armee. Durch verschiedene Engagements beim Bund und in der Privatwirtschaft, in der Justizvollzugsanstalt und als Stabs-Offizier in militärischen Friedensförderungseinsätzen im Kosovo, sucht sie die Intensität des Lebens und die Begegnung mit Menschen. 2019 und 2023 überquerte sie in 4er-Teams den Atlantik, bzw. den Pazifik im Ruderboot. Auf dem Thunersee schöpft sie Kraft und neue Ideen.


Bericht 1/3 erschienen 14. März 2024
Bericht 2/3 erschienen 21. März 2024


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