Aus dem Leben

  10.10.2024 Reportagen

Mal abgesehen von der Kleenex-Box am Tischende, unterscheidet sich die einladend schöne Holztafel nicht von einem Sitzungstisch, wie er in jedem Unternehmen stehen könnte. «Ich bin Hans-Jörg», sagt er und begrüsst mich mit festem Händedruck, einem sympathischen Lächeln und stellt mir seinen Mitarbeiter Bruno vor. Beide tragen sie eine schwarze Hose mit weissem Hemd und Krawatte, das sei so eine Art Uniform, die ihnen dabei helfe, emotional Distanz zu halten.

Mein Umfeld reagiert etwas konsterniert auf meinen Entschluss, einen Bestatter zu besuchen. Es geht mir darum, Klarheit über die Abläufe in den Stunden und Tagen nach dem Ableben eines Menschen zu bekommen. So bleibt das Angebot an meine Familie und Freunde, Antworten auf ihre Fragen zu beschaffen – nicht ganz überraschend – ungenutzt. Mein Fragenkatalog ist jedoch so umfassend wie tabulos und die Antworten, die ich darauf bekomme, sind erfrischend ehrlich

In den folgenden Stunden, auch im Gespräch mit Angehörigen einer Verstorbenen, bei der Abholung des Leichnams und letztlich beim Besuch im Krematorium stelle ich fest, dieser Beruf ist nichts für Feiglinge. Und doch erlebe ich einen Tag, in dem viel Leben Platz findet, in dem trotz der Umstände gelacht werden darf und den Toten wie den Lebendigen mit wohltuendem Respekt begegnet wird.

Mit zwischen 3500 und 5500 Franken müsse man schon rechnen, bei besonderen Bestattungswünschen sei gegen oben hin aber keine Grenze gesetzt. Hinter einem dekorativen Raumteiler erklärt mir Hans-Jörg vor einer Art Wohnwand die umfassende Palette an unterschiedlichen Urnen. Von Karton über Ton bis hin zu Holz oder Metall. Keramisch, in Herzform oder vielleicht lieber aus einem einheimischen Gehölz, so wie beispielsweise das Sargmodell «Thuner Tanne».

Mich beschäftigt, wie es den beiden Männern gelingt, die Gratwanderung zwischen einer gewissen emotionalen Distanz als Selbstschutz und einer trostspendenden Nähe und Empathie für die Trauernden zu schaffen. Wie schützt man sich, wenn man sich plötzlich mit einer belastenden Situation identifiziert? Die physische Distanz ist schnell definiert. Näher als eine Armlänge kommt mir niemand, erklärt Hans-Jörg. Und beim Emotionalen? Er versucht räumliche Distanz zu schaffen, indem er den Trauernden und auch sich selber die nächste organisatorische Aufgabe erteilt. So kommen alle ins Handeln und in Bewegung, das hilft. Das ist auch der Grund, weswegen er die Familien fürs Gespräch oft ins Büro bestellt. So müssen sie ihre aktuell belastende Umgebung verlassen. Hin und wieder macht das Bestatter-Duo aber auch Hausbesuche, so wie heute Nachmittag. Sie sehen sich in ihrer Rolle aber nicht als Tröster. Vielmehr seien sie Berater und organisatorische Stütze. Es geht darum, den Trauernden die Last der Formalitäten und Behördengänge abzunehmen: Den Termin der Kremation, den Druck von Leidzirkularen oder die Auftragserteilung für die Todesanzeige zu bewerkstelligen. Jemand muss den Überblick behalten, um die Trauernden so schonend wie möglich durch diesen Prozess zu navigieren.

Während ich frage, ob es für den Bestatter Horror-Szenarien gibt und welchen Teil sie an ihrem Beruf gerne streichen würden, klingelt, wie schon den ganzen Vormittag über, das Telefon, mit Kirchenglocken-Rufton. «Mein Beileid», antwortet er der Anruferin einfühlend. Auf nichts würde er verzichten wollen, entgegnet er ohne zu zögern, er mag jeden Teil seiner Arbeit. Früher hätte er den administrativen Part gerne weggelassen, aber heute sehe er es als eine Art Rückzug aus dem akuten Feld des Todesfalles. Niedergeschrieben und erledigt, sind die Männer der Überzeugung, hilft beim Abschliessen. Der Gedanke daran, dass an der Trauerfeier beim Tragen des Sarges oder der Urne etwas schieflaufen könnte, das bereitet ihnen Unbehagen, weil es sich dabei für die Hinterbliebenen um enorm wichtige Momente handelt, die sich nicht mehr korrigieren lassen.

Vor Ablauf der 48 Stunden nach dem Tod wird kein Verstorbener kremiert und den Termin für die Einäscherung der Grossmutter der Anruferin, bucht Hans-Jörg kurz per App. Schade eigentlich, sagt er, dadurch gehe ein Austausch mit dem Team des Krematoriums verloren, bringe aber gerade an Wochenenden schon Erleichterung.

Welche Leute gehen ihre Sterbevorsorge aktiv an? Nicht nur alte Menschen oder solche, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. Es sind Menschen aus jedem Alterssegment und sie tun es aus Überzeugung: Entweder weil es ihnen wichtig ist, wie nach ihrem Tod gehandelt wird oder weil sie damit ihren Angehörigen schwierige und belastende Entscheide abnehmen wollen.

Etwa 30 Personen jährlich betreten sein Büro mit einem bereits festgelegten Zeitpunkt für ihren geplanten Freitod. Wie verabschiedet man sich, wenn man weiss, dass der Kunde bei der nächsten Begegnung just verstorben ist? Oft wird aber der Bestatter gerade bei diesen Menschen zu einem wichtigen Vertrauten. Ihm gegenüber darf man frei über Dinge sprechen, welche man vielleicht einem Angehörigen nicht zumutet, oder die bei seinen Lieben aus Überforderung auf taube Ohren stossen.

Im Verlauf des Tages bestätigt sich meine Vermutung, dass Bestatterarbeit weit mehr mit Lebenden zu tun hat als mit Verstorbenen. Meine Frage, ob er die Berufsbezeichnung gerne anpassen würde, verneint er klar. Ich begreife seinen Berufsstolz lange bevor wir in der Abenddämmerung mit leerem Fahrzeug vom Krematoriumareal rollen.

Mit sympathischer Nahbarkeit betritt er, mit mir im Schlepptau, das Wohnzimmer der Trauerfamilie. Eine stabilisierende Souveränität geht von ihm aus und der Umstand, dass er die Familie vorab gefragt hat, ob ich ihn begleiten darf, erleichtert die Begrüssung. Wir sitzen am runden Tisch und mit scheinbarer Leichtigkeit führt er die Angehörigen mit solider Stimme und einer klaren Vorwärtsbewegung durch die anspruchsvollen Themen. Er beantwortet Fragen, lässt der Familie Raum für Diskussionen und Absprachen und holt sie bei Ausschweifungen fast unmerklich wieder zurück zum Thema. Wer besorgt den Blumenschmuck, wo findet die Trauerfeier statt, möchte sich jemand in der Aufbahrung von der Grossmutter verabschieden und was passiert mit der Asche nach der Abdankung? Hatte die Verstorbene vielleicht einen Bestattungswunsch? Braucht die Familie Unterstützung bei der Todesanzeige? Wenn immer möglich übernimmt Hans-Jörg den Behördengang. Zum einen ist er sicher, dass er dann die richtigen Dokumente hat und entlastet damit die Familie bei Unsicherheiten mit den Formalitäten.

Das Gesprächs-Raster ist immer das Gleiche und trotzdem: Diese Unterhaltungen verlaufen so einzigartig, wie die darin involvierten Menschen sind. Das mache seinen Beruf so abwechslungsreich. Gedankenversunken lasse ich mich von Hans-Jörg über die nächsten Schritte informieren. Zurück im Büro tauschen wir den Personenwagen gegen das Bestattungsfahrzeug. Astrid Schmid

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe am 17. Oktober

 


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