Bilder schreiben Geschichten in Bildern

  13.07.2023 Reportagen

Von Reportage über Presse und Architekturfotografie bis zur Kunst – der Blick des Fotografen Christian Helmle ist für vieles offen: als Jäger und Sammler zugleich, sagt er über sich, er sei ein Geschichtsschreiber. Auf Besuch in seinem Atelier in Thun.

«Ein Bild sagt mehr als tausend Worte», hielt Kurt Tucholsky im Jahr 1926 über die Fotografie fest. Wie abgedroschen man im Zeitalter der Bilderfluten die Aussage auch finden mag – sie stimmt nach wie vor. Weil alles, was wir sehen, als erstes in unserem Gefühlszentrum im Gehirn, dem limbischen System, aufgenommen und verarbeitet wird. Und genau da entsteht das Kopfkino, wenn das Bild die Geschichte erzählt – immer auch unsere eigene. Einer, der schon zig-tausende Bildgeschichten «geschrieben» hat, ist der Thuner Fotograf Christian Helmle. In seinem Atelier und Archiv, unweit des Selveareals, hängen, stapeln und verbergen sich auch einige noch nicht erzählte Geschichten. «Viele meiner Bilder sind nun digitalisiert – es dürften insgesamt an die 100’000 sein», sagt er.

Am Anfang war das Bild
Neben vielen Möglichkeiten gab es bei der Berufswahl für den Thuner Christian Helmle, familiär begründet, zwei Branchen, die ihn dann auch prägten: Bau, Architektur und Fotografie. «Mich interessieren Architektur-Geschichte und -Ästhetik, doch kam für mich ein Bauberuf nicht in Frage», erzählt er. Die Arbeit seines Onkels, der Fotograf war und eine Zeitlang in Thun ein Fotofachgeschäft führte, faszinierte ihn von Beginn weg. Ihm schaute er oft über die Schultern und der Onkel erklärte ihm das Entstehen des latenten Bildes und dessen Entwicklung im Labor: «Für mich steckte da immer Zauberei drin, wie so ein Bild entsteht», berichtet er. Später war dieser Onkel einer der ersten Kameramänner beim Schweizer Fernsehen.

Man schrieb die späten 1970-er Jahre, und der junge Helmle reiste mit seinem ältesten Bruder nach Afrika. «Meine Schwester arbeitete bei der Swissair und besass eine Fotokamera – ich borgte sie mir für die Reise, es war eine Nikomat», berichtet er. Die beiden Brüder reisten durch die Sahara und noch weiter. Es entstanden gute Bilder, die Christian Helmle glücklicherweise schon vor Ort entwickeln liess. Denn seine Leihkamera wurde ihm unterwegs gestohlen. Jedoch sollte er seine Reise bis zum Schluss fotografisch dokumentieren können. Dafür sorgte eine glückliche Fügung: «Ich lernte einen Franzosen kennen, der ebenfalls auf Reisen war – Zufall oder nicht: dieser verfügte über eine Zweitkamera, die ich benutzen durfte», erinnert sich Helmle. Schliesslich übernahmen diese Afrikabilder für seine fotografische Laufbahn eine initiale Zündung.

«Täxeler» und Fotograf
Zurück in der Schweiz, hatte ihn nämlich das Bild-Jagdfieber gepackt. Ihm wurde aber in seinem Umfeld von einer Ausbildung zum Fotografen eher abgeraten. So studierte er an der Uni Bern einige Semester Ethnologie. Doch die Begeisterung fürs Fotografieren hielt an. Aus Neugier bewarb er sich an der Fotoschule in Vevey und schaffte es aus 90 Bewerbenden in den zwölfköpfigen Studiengang. Als 25-Jähriger studierte er alsdann da während drei Jahren das Handwerk der Fotografie von der Pieke auf. Dabei wurde sein Gefühl für Lichtführung und Komposition geschärft, und er begann zu experimentieren: «Ich ging damals schon lieber raus, als dass ich im Studio mit Kunstlicht wirkte.»

Bereits als frischgebackener Fotograf stand ihm die Reportage-Fotografie sehr nahe, doch lagen in den 1980-er Jahren keine Foto-Jobs auf der Strasse. Christian Helmle lebte in einer WG in Thun und jobbte als Taxifahrer – zumeist in den frühen Morgenstunden bis zum Mittag oder nachts. Am Nachmittag erledigte er erste fotografische Auftragsarbeiten, vor allem für Leute, die er kannte. Introvertiert und zurückhaltend, fiel ihm das Selbstmarketing schwer. Am Bahnhof Thun herrschte schon damals reger Betrieb. Helmle’s präsente, ruhige Art wurde von den Taxigästen geschätzt: «Sie fingen an, mir ihre Lebensgeschichten zu erzählen.» Die Idee einer Reportage über das Taxifahren hegte er schon lange. Als ihm zudem einfiel, eine Kamera auf dem Armaturenbrett anzubringen und so in den Fahrerraum mitsamt Passagieren zu fotografieren, kam eine erfolgreiche Geschichte ins Rollen.

Helmle’s Taxibilder erschienen 1983 mit einer Story im Magazin des Tagesanzeigers. «Ein paar Monate später war ich kein Taxifahrer mehr, sondern fotografierte über die Jahre hinweg sowohl für lokale, als auch für nationale Zeitungen und Zeitschriften als freischaffender Fotograf.» Die Reisereportagen-Bilder erzielten weiterhin Beachtung. So ergab sich etwa von seiner Nilfahrt eine Titelgeschichte in der Schweizer Familie, oder die Basler Zeitung publizierte prominent seine Nachtbilder der Pyramiden. Ab 1993 war er während zwölf Jahren Fotograf des Gurten-Festivals und lichtete die Musikszene vor, auf und hinter der Bühne ab. Ausserdem machte er sich als Auftragsfotograf weitherum und insbesondere in der Architekturfotografie einen Namen. Daneben blieb ihm stets Zeit für freie Projekte.

Christian Helmle erhielt für seine Arbeit einige Fotopreise. Zudem wirkte er in Einzel- und Gruppenausstellungen. Im letzten Jahr präsentierte er eine Auswahl seiner Lichtbilder im Kunstmuseum Thun, «solo» unter dem Titel «Stralau». Der frischpensionierte Fotograf wirkt weiter wie bis anhin, nur «etwas gemächlicher». Derzeit widmet er sich systematisch den Strassensituationen in und um Thun. Bereits erzählen davon 3700 Bilder zeitgemässe Geschichten, die absehbar: Geschichte schreiben werden. Davon ist der Fotograf geradezu in den Bann gezogen. Barbara Marty

www.christianhelmle.ch

 


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