Der Bergwald ist unser Schutzwald

  29.06.2023 Reportagen

Rund ein Drittel der Fläche ist hierzulande bewaldet. Davon ist fast die Hälfte als Schutzwald klassifiziert. Diese Verhältnisse stimmen in etwa auch im Verwaltungskreis Thun. Was macht ein Schutzwald aus? Warum braucht es ihn? Und welchen Herausforderungen steht das Forstpersonal bei seiner Pflege gegenüber?

Viele Menschen fühlen sich bei einem Aufenthalt im Wald schlagartig geborgen und gut aufgehoben: Hier ist die Luft frisch, die Geräusche sind wohlklingend, das Herz schlägt ruhig und die Gedanken werden vielleicht etwas stiller. Der Wald ist seit Urzeiten wichtig für den Menschen. Als Natur-, Kultur- und Lebensraum bildet er ein eigenes Ökosystem. In den letzten Jahrhunderten hat sich die Beziehung des Menschen zu ihm stark gewandelt. Im Zuge der verknappenden Ressourcen ist man sich seines kolossalen Wertes noch stärker bewusst. Jedoch steht er nicht nur als Lieferant von Sauerstoff oder Holzenergie im Fokus. Der Wald – unsere grüne Lunge – muss insgesamt sehr unterschiedliche an ihn gestellte Interessen abfedern. Wobei seine hauptsächlichen Funktionen offiziell und also amtlich so kategorisiert sind: Holzproduktion, Schutz, Biodiversität und Erholung. Fast gar nebenbei bietet er Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen.

Der Wald und seine Funktionen
Der Mensch plant den Wald und gemäss der Topografie erhält er seine für den Menschen prioritäre Funktion auch von Menschenhand zugeteilt. Das heisst: «In gebirgigen Lagen hat der Forst oftmals eine vorrangige oder reine Schutzfunktion», erläutert Revierförster Beat Reber, zuständig für das Revier Sigriswil-Stockental. Die meiste Fläche an Schutzwald befindet sich im Tessin und im Wallis, was topografisch gegeben ist. Für die nationale Schutzwald-Planung wurde auf dem Reissbrett die gesamte Schweizer Waldfläche nach einheitlichen Kriterien beurteilt. Das heisst: die örtlichen vorhandenen Kategorien mit Schadenpotential und bestehende Gefahrenpotential wurden zueinander in Relation gesetzt. Als Schadenpotentialkategorien gelten Siedlungen, Strassen und Bahnlinien – also: Orte, wo sich Menschen aufhalten oder verkehren.
«Als Naturgefahren mit Relevanz für den Schutzwald gelten: Lawine, Steinschlag, Hangmuren und Rutschungen», erklärt der Revierförster. Im Rahmen des Projektes «SilvaProtect-CH» entstand im Jahr 2016 auch die Schutzwaldhinweiskarte auf Kantonsebene – eine insgesamt komplexe Methode, um den Schutzwald einheitlich zu taxieren. Damit steht nicht zuletzt ein Instrument zur Verfügung, welches das objektive Zuteilen von Bundesmitteln für die Schutzwaldpflege in der Naturgefahrenabwehr gemäss Waldgesetz ermöglicht. «Diese Art der Waldpflege wird vom Bund effektiv am stärksten unterstützt, weil man die öffentlichen Interessen hierfür an oberste Stelle setzt», sagt Reber. «In meinem Revier beträgt die Waldfläche 5200 ha, wovon der Schutzwaldanteil etwa bei 45 Prozent liegt», informiert Beat Reber.
Gemäss Website des Bundesamtes für Umwelt BAFU schützt rund die Hälfte unserer Wälder Menschen, Siedlungen und Verkehrswege vor Naturgefahren. Der Anteil ist pro Kanton sehr unterschiedlich. Fest steht:

Damit die Schutzwälder ihre Schutzfunktion langfristig erfüllen können, müssen sie sorgfältig gepflegt werden.

Das A und O – professionelle Pflege
Die Topographie für den Lawinenschutzwald bedingt im Kanton Bern eine Höhenlage ab 900 Meter über Meer. Wie entsteht der Schutz vor Lawinen durch den Wald? «Hier dient der Wald ausschliesslich dazu, die Lawine im Anrissgebiet nicht entstehen zu lassen», erklärt der Revierförster. Dafür stehe die Stabilität und die Vitalität der Bäume im Vordergrund, fügt er an. Der Wald verhindert, dass sich eine gleichmässige Schneedecke aufbauen kann und stabilisiert so den Schnee am Hang. Entsprechend ist daraufhin die Pflege ausgerichtet. Im Fokus der Forstarbeiten stehen für den Lawinenschutzwald: Die gezielte Einleitung der Waldverjüngung und die Pflege zugunsten von Stabilität und Vitalität. Beim Wald, der vor Steinschlag schützt, gilt: «Hier soll er die Steine abbremsen oder stoppen. Das bedingt eine hohe Stammzahl, was nur möglich in einem verjüngten Wald ist. Denn in einem Wald mit altem Baumbestand gibt es bekanntlich auch weniger Bäume», veranschaulicht Beat Reber. Übrigens ist der Wald im Berner Oberland zu fast hundert Prozent als Schutzwald kategorisiert. In der Region Thun schützt er etwa vor Hangmuren. Starkniederschläge und Unwetter führen heutzutage allerorts gehäuft zu Erdrutschen. Vor dieser Naturgefahr schützt uns die kräftige Durchwurzelung innerhalb von Baumgruppen. Sehr Interessantes ist auch dazu vom Revierförster zu erfahren: «Das dichte Kronendach der Bäume lässt das Regenwasser gleichmässig zu Boden kommen und sorgt so für eine gemächlichere Durchwässerung, was dem Erdreich insgesamt zugutekommt und idealerweise den Rutsch verhindert oder mindert.» Dazu sind gute verwurzelte Bäume essenziell – also in der Mehrheit tiefwurzelnde Arten. Schliesslich ist es bei der Pflege im Schutzwald: «immer «stotzig», somit braucht es immer Profis», resümiert Reber.

Die grösste Herausforderung – Klimawandel
Welche Arbeiten werden momentan im Schutzwald ausgeführt? «Jetzt, während der Brut- und Setzzeit, sind keine Holzschläge erlaubt – ausser da, wo es dringend nötig ist, etwa wegen eines Käferbefalls», sagt Beat Reber. Er und seine Equipen sind derzeit vor allem damit beschäftigt, frisch gepflanzte Bäume vor unerwünschter Begleitvegetation zu befreien und die Verbuschung einzudämmen. Zum Merken: Ein Baum braucht zwischen 50 bis 80 Jahre, bis er seine grösstmögliche Schutzfunktion ausgebildet hat.
Die Forstleute sind sich einig: «Der rasch voranschreitende Klimawandel ist die grösste Herausforderung für den Wald». Trockenheit, Stürme und Starkniederschläge setzen ihm zu. Vor allem in höheren Lagen bestehen Verjüngungsrückstände, die besonders anfällig auf klimatische Veränderungen sind. Als Faustregel hält der Revierförster fest: «Die typischen Mittelländer Baumarten wie zum Beispiel Eiche, Nussbaum, Linde und Ahorn werden in absehbarer Zeit bei uns in Thun stärker vertreten sein.

Parallel dazu werden sich etwa Buche, Weisstanne und Fichte vermehrt in höheren Lagen ansiedeln.» Als Zukunftsbäume im Wald gelten unter anderem die Douglasie, die Edelkastanie und die Roteiche. Hierzu laufen bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL Testpflanzungen zukunftsfähiger Baumarten. In jedem Fall ist es essenziell: klimaangepasste, widerstandsfähige Wälder und die Biodiversität zu fördern.

Barbara Marty


Der Schweizer Wald in Zahlen
Waldfläche:
32% der Landesfläche der Schweiz, entspricht 1,31 Mio. ha.

Eigentum:
71% Öffentlicher Wald, 29% Privatwald

Schutzwald:
49% oder 585’000 ha der Schweizer Waldfläche, 90% im TI und VS


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