Der Weg zeigt steil nach oben – bis nach Cortina d’Ampezzo?
17.10.2024 Sport-ReportagenVorbilder aus der näheren Umgebung kennt der 20-jährige Homberger Skicrosser Renzo Ryter einige. Nicht unweit von seinem Wohnort haben der Frutiger Mike Schmid und der Interlakner Ryan Regez das hohe Ziel, das sich die Schweizer Nachwuchshoffnung gesteckt hat, bereits erreicht. Sie wurden Olympiasieger im Skicross, Schmid 2010 in Vancouver und Regez zwölf Jahre später in Peking.
Von einem solchen Erfolg träumt auch Renzo Ryter. Wenn dieser Traum nicht schon 2026 im Winter- und Bergsportzentrum Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten in Erfüllung geht, dann soll es spätestens vier Jahre später in den französischen Alpen soweit sein. Denn auch der junge erfolgshungrige Mann aus dem Oberland weiss, dass im Skicross die Erfahrung eine wesentliche Rolle spielt, wenn es gilt, sich auf den kurvigen, mit Wellen und Sprüngen gespickten Abfahrtsstrecken mit Cleverness, taktisch richtigem Verhalten, einem Blitzstart und wenn nötig auch mit den Ellbogen gegen die drei gleichzeitig startenden Gegner durchzusetzen. Cortina liegt auf einer Höhe von 1224 m, Homberg «nur» auf 941 m, doch Ryter weiss genau, dass die Hürden, die er in den nächsten zwei Jahren überspringen muss, deutlich höher sind als 283 Meter. «Ich gebe alles, um meine Ziele zu erreichen und bin überzeugt, dass ich härter und besser trainiere als alle anderen», so Ryter, dem bewusst ist, dass noch mancher Schweisstropfen über seine Stirne rinnen wird, ehe er sich hoffentlich olympisches Gold umhängen lassen darf.
Die Gegner beobachten
«Nach der Streckenbesichtigung gilt es, sich vor dem Start selbst einzuschätzen, die Gegner zu beobachten und ihnen in die Augen zu schauen. Die meisten Gegner kenne ich, sehe, wie sie sich verhalten. Jeder fährt eine andere Linie, die vor allem von der Position abhängig ist. Es spielt eine wesentliche Rolle, ob man in Führung liegt oder aufholen muss», spricht Renzo Ryter im Stile eines Routiniers. Trotz seiner Jugend kann er bereits auf eine reiche Erfahrung zählen, die ihm im Wettkampf Vorteile verschafft.
Mit drei auf den Ski
In Homberg neben dem Skilift zusammen mit einer Schwester und einem Zwillingsbruder aufgewachsen, stand Klein-Renzo schon im zarten Alter von drei Jahren auf den Ski und trat schon früh dem Skiklub Homberg bei. «Schon bald durfte ich mit dem Skiklub mitreisen, wenn die Mitglieder zu Rennen fuhren, vorerst nur als Zuschauer, doch schon bald konnte ich aktiv dabei sein. Bereits mit acht Jahren fand ich Aufnahme im regionalen Leistungszentrum, dem ich bis 15 angehörte. Verletzungen und Gespräche mit meinem Kollegen Dean Frossard führten schliesslich zu einem ersten Versuch im Skicross.» Renzo Ryter war sogleich begeistert von dieser faszinierenden Sportart, die den Athleten alles abverlangt. «Der direkte Vergleich, der Kampf Mann gegen Mann, das Tempo und das Risiko, das man eingehen muss, um vorwärtszukommen, das alles faszinierte mich von Beginn weg und für mich war sofort klar, dass ich im Skicross bleiben will», blickt Ryter auf seine ersten Versuche zurück.
Schon bald stellten sich erste Erfolge ein. Heute ist Renzo Ryter bereits zweifacher Junioren-Schweizermeister, schaffte an den Schweizermeisterschaften der «Grossen» einen Topten-Platz und fand Aufnahme im nationalen Sichtungskader, was es ihm erlaubt, bereits mit den C- und B-Kader-Mitgliedern zu trainieren. Eine erste Enttäuschung hat der gelernte Zimmermann, der nach wie vor zu 20 Prozent seinem Beruf in der Firma «Holzbau Haldimann» in Buchen nachgeht, bereits erlebt. «An den Junioren-Weltmeisterschaften im schwedischen Idre Fjäll wollte ich unbedingt aufs Podest fahren und eine Medaille gewinnen. Doch ausgerechnet in Schweden plagte mich eine lästige Bindehautentzündung. Am Renntag fuhr ich praktisch blind und so klassierte ich mich statt auf dem Podest im enttäuschenden 18. Rang.»
Auch im Sommer arbeitet Renzo Ryter hart an seiner Fitness. Nach Abschluss seiner Lehre als Zimmermann EFZ stehen täglich zwei Trainings auf dem Programm. Kraft, Ausdauer und Fahrten auf den Rollerblades, Schnellkraft, das alles füllt das Tagesprogramm beinahe aus. Im Winter kommt logischerweise in der Saisonvorbereitung das Schneetraining dazu. Gegenwärtig weilt Ryter in Saa-Fee, wo morgens um fünf Uhr bereits Tagwache ist, ehe um sieben Uhr das Schneetraining beginnt, in den ersten Tagen auf Slalom- und Riesenslalom-Ski, um die Technik zu fördern, dann wird auf Skicross umgestellt, ehe die Wettkampfsaison mit rund 20 Rennen pro Winter losgeht.
Konkurrenten und Kollegen
In der Schweiz, wo seit den Erfolgen von Siegfahrern wie Schmid, Regez oder Alex Fiva immer mehr junge Skifahrer mit Potenzial zum Skicross wechseln, ist die Konkurrenz unter den Talenten riesengross, entsprechend hart ist es, von Swiss Ski gefördert und unterstützt zu werden und sich einen Platz in einem nationalen Kader zu ergattern. «Wir sind zwar Konkurrenten, doch die Kameradschaft ist trotzdem sehr gut. Wir unterstützen uns gegenseitig – jeder mag dem anderen den Erfolg gönnen, erst wenn ich auf der Rennpiste bin, vergesse ich alles um mich herum und versuche, möglichst als Erster ins Ziel zu kommen und mich für den nächsten Lauf zu qualifizieren», so Ryter. Wir hoffen und wünschen ihm, dass er nächstes Jahr den Aufstieg ins C-Kader und zum Vollprofi schafft und in Magglingen die Rekrutenschule für Spitzensportler absolvieren kann, um von den Förderungsmöglichkeiten der Schweizer Armee und des Bundesamts für Sport zu profitieren.
Pierre Benoit