Die Grossgemeinde mit Dorfcharakter

  22.06.2023 Reportagen

Steffisburg ist weiträumig und bevölkerungsstark, stadtnah und ländlich – eingebettet in die voralpine Hügellandschaft am Tor zum Berner Oberland. Im Gespräch mit Gemeindepräsident Reto Jakob über die zwei Seelen der Gemeinde Steffisburg, weitere Widersprüche und die stete Suche nach dem Konsens im möglichen Handlungsspielraum.

«Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust», so könnte es auch von Steffisburg tönen. Dies in verschiedener Hinsicht: Zum einen, weil das grosse Dorf mit etlichen Zentrumsfunktionen für sein Umland auch einiges von einer Stadt hat. Im Grundsatz will man aber einhellig den Dorfcharakter betonen und die dazugehörigen Qualitäten fördern, was trotz Bevölkerungswachstum und Grossflächigkeit mitunter herausfordernd ist. Doch weder als reines Dorf noch als veritable Stadt vereint Steffisburg etwas von beidem auf eigene Art. So gibt es nicht nur zwei Seelen, sondern auch drei Postleitzahlen für den Ort: 3612, 3613 und 3624 (Ortsteil Schwendibach). Viele der alteingesessenen Steffisburger:innen blicken jedoch wehmütig zurück auf die ursprünglich dörfliche Zeit, als sich die meisten noch beim Namen kannten. Häufige Familiennamen sind nach wie vor: Gerber, Wüthrich und Stauffer. «Es gibt heute einen grossen Anteil in der Bevölkerung, der relativ anonym hier wohnt», sagt Gemeindepräsident Reto Jakob. Da entstehen zwangsläufig zuweilen gegensätzliche Ansichten: «Die Ursprünglichen erachten das Dorf als zu stark wachsend und verstädternd; wogegen Aussenstehende oder Neuzugezogene Steffisburg als sehr ländlich wahrnehmen», berichtet er.

Reto Jakob wohnt mit seiner Frau und den gemeinsamen vier Kindern in Steffisburg, im Ortsteil Ortbühl. Der in Heimberg aufgewachsene Lehrer und Musiker zog vor 25 Jahren in den Ort, wo er seit eineinhalb Jahren im Amt des Gemeindepräsidenten ist. Davor war er jahrelang aktives Mitglied im Grossen Gemeinderat (GGR) Steffisburg. Die herausragende Qualität von Steffisburg sieht er darin: «Man ist von überall her schnell im Grünen.» Zudem freuen ihn die Gegensätze, so wie etwa: das neu dazugehörige ländliche Schwendibach, das ursprüngliche Oberdorf, aber eben auch das urbanere Schwäbis, welches nahtlos in die Stadt Thun übergeht. Weitere Ortsteile sind: Au, Bernstrasse, Glockenthal, Hübeli, Flühli und Hardegg.

Ein Blick zurück
Steffisburg liegt in einer ehemaligen Bucht des vorgeschichtlichen Wendelsees. «In Rot auf einem grünen Dreiberg eine silberne Burg mit zwei gedeckten Türmen und einem zweistufigen Giebel», so beschreibt die Gemeinde das Steffisburger Wappen auf ihrer umfassenden Website. Geschichtlich weiss man: Im Jahr 1133 tauchte der Name zum ersten Mal auf. Der Name Steffisburg ist eine Bildung aus dem Heiligennamen Stephan und dem althochdeutschen Gattungswort für Burg. Von einer ehemaligen Burg ist nichts belegt. Doch war der heilige Stephan einst der Schutzheilige der Pfarrkirche von Steffisburg. Der Heiligenname ist beim Bau der Kirche der ursprünglichen Bezeichnung Burg vorangestellt worden. Der Name ist aus dem Altgermanischen und kommt von: Stefansburg – Burg des Heiligen Stephans.

Die Vorzüge eines Dorfes
«Wir sind ein Dorf, keine Stadt», beteuert Reto Jakob. Also will man diese Identität mit Qualität füllen. Dabei unterstützt ein reges Vereinsleben das Gemeinde-Bestreben. Der Gemeindepräsident erwähnt überdies die Wichtigkeit vom Zusammenleben in Vereinen. Auch im Höchhus, das neuerdings vom Generationentandem belebt wird, werden Begegnungen für alle möglich. Auch wichtig sind der Dorfplatz sowie Nachbarschaftstage – schlicht Begegnungen und Aktivitäten im Quartier. Damit man die Themen von der Basis kennt, übernehmen die fünf Steffisburger Leiste wertvolle Aufgaben. «Unterschiedliche Quartiere haben unterschiedliche Bedürfnisse und Sorgen!» Und: Die bevölkerungsstärkste Gemeinde – nach der Stadt Thun – im Verwaltungskreis Thun wächst gut durchmischt stetig weiter, «wobei die Schülerzahlen stabil sind», fügt Jakob an.

Steffisburg führt zehn Schulstandorte mit fünfzehn Kindergärten: 200 Lehrpersonen unterrichten rund 1500 Kinder. Die Schulanlagen und Sporthallen werden in den nächsten Jahren zum Teil sanft oder total saniert und neu gebaut. Insgesamt sind 170 Mitarbeitende in der Verwaltung bei der Gemeinde angestellt.
Zu den Baulandreserven informiert Reto Jakob: «Wir haben noch Potential, doch wollen wir nicht möglichst schnell alles verbauen.» Vielmehr will man berücksichtigen, dass viele das Gefühl haben, man wächst zu schnell. «Zum Land Sorge tragen, ist wichtig», bekräftigt er. Zugleich nennt er die Tatsache: «Steffisburg ist aber keine Insel, wir sind mit vielem verhängt.»

Die Zulg ist zentral
Das Jahrhundertprojekt der Gemeinde widmet sich dem Hochwasserschutz und der Längsvernetzung der Zulg. Ende September 2022 wurde damit begonnen, mit voraussichtlichem Projektende im 2026. Das Massnahmenpaket soll den Hochwasserschutz sicherstellen und die Fischwanderung wieder ermöglichen. Die Arbeiten erstrecken sich etappenweise, aufgeteilt in vier Teilprojekte. Wobei die meisten Bauarbeiten wegen des geringeren Gewitterrisikos und des niedrigen Wasserstands im Winterhalbjahr realisiert werden. Die eigens dafür eingerichtete Website gibt vertieften Aufschluss über den 14-Millionen-Bau: www.zulg-steffisburg.ch.

Lebenswert sein und bleiben
Im Gespräch wird klar und Reto Jakob bestätigt: «Von der Bevölkerung werden an eine Gemeindeverwaltung hohe Ansprüche gestellt.» Selbstredend verfolgt kein kommunaler Verwaltungsapparat einen Selbstzweck. Vielmehr: «wollen wir das Beste für die Bevölkerung - doch besteht häufig ein Zwiespalt zwischen unterschiedlichen Wünschen und Ansprüchen.» Eine Gemeinde kann weder die Wünsche von allen erfüllen, noch zaubern oder ein Utopia für Einzelpersonen erschaffen. Gut zu wissen: Jakob gibt zwar Steffisburg ein Gesicht, doch beteuert er, scherzend: «Ich bin nicht Steffisburg!» Er wünscht sich für das Dorf weiterhin viel Lebensqualität sowie Lösungen und Entscheide, die es auch für zukünftige Generationen wertvoll machen.

Barbara Marty


Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3612/13 Steffisburg
3624 Schwendibach
Einwohner: 16 165
Fläche: 1480 ha
Wald: 407 ha
Höchster Punkt: : 1034 Meter über Meer
Steuerfuss: 1.62
www.steffisburg.ch

 


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