Eine Thunerin bricht alle Fussball-Rekorde

  12.06.2025 Sport-Reportagen

Ana-Maria Crnogorcevic, die 34-jährige Fussballerin aus Thun, ist die Frau der Rekorde. Im Nationalteam ist sie die Frau mit den meisten Partien (165) und der grössten Anzahl Tore (74). Ihr Palmarès liest sich wie das Wunschkonzert eines jungen Mädchens, das davon träumt, dereinst die grossen Fussball-Bühnen zu stürmen. Selbst die erfolgreichsten Schweizer Männer lässt die Stürmerin, die auch in der Abwehr spielen kann, hinter sich. Auch die Besten wie Stéphane Chapuisat, Ciriaco Sforza, Tranquillo Barnetta oder Hakan Yakin erreichten nicht annähernd die Werte der jungen Frau, die einst in Tränen ausbrach, als sie den Rücktritt ihres Idols Roger Federer vor dem Fernseher miterlebte.

Im Juli schickt sich die Rekordfrau mit schweizerisch-kroatischen Wurzeln an, beim Auftritt an der EURO in der Schweiz weitere Duftmarken zu setzen. Die lange Liste der Rekorde begann beim höchsten je erreichten Sieg in einem Cupfinal. Sie steuerte vor 16 Jahren zum 8:0-Erfolg des FC Rot-Schwarz Thun über den FC Schlieren drei Tore bei. Mit dabei damals die beiden späteren Nationalspielerinnen Stefanie de Alem da Eira und Nora Häuptle sowie die heute für Futsal Minerva aktive Katrin Machado-Glarner, die Schwester des OK-Präsidenten des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests 2028 in Thun, König Matthias Glarner. Klar, dass nach diesem eindrücklichen Auftritt die Angebote gleich reihenweise im Briefkasten der

Familie Crnogorcevic landeten. Selbst Vater Jasenko, der zu Beginn der Karriere von Ana-Maria nicht verstehen wollte, dass Fussball seiner Tochter besser gefiel als Leichtathletik und Tennis, musste schliesslich klein beigeben. Seine Frau Vesna dagegen lag richtig, als sie für das Ausnahmetalent Fussballschuhe kaufte und Ana-Maria hinter Vaters Rücken zum Training des FC Steffisburg fuhr.

Der HSV machte das Rennen
Die erste Auslandstation der noch nicht 19-Jährigen wurde der Bundesligist Hamburger SV, der das Rennen um die Bernerin erfolgreich gestaltete. Der Transfer verleitete die «Bild»-Zeitung zur Schlagzeile: «Die schönste Fussballerin der Bundesliga kommt aus der Schweiz.» Doch Crnogorcevic beweis schon im ersten Bundesliga-Jahr, dass sie nicht «nur» schön, sondern auch torhungrig ist. Der Bundesliga-Spitzenklub 1. FFC Frankfurt war die nächste Station, ehe sie weiterzog, in die USA zum Portland Thorns FFC. Dann meldete sich der weltbeste Frauen-Fussballklub, der FC Barcelona, und sicherte sich die Dienste der Thunerin. Nach einem Abstecher zu Atletico Madrid kehrte Crnogorcevic erneut in die USA zurück, wo sie heute für den Seattle Reign FC Tore schiesst.

Women’s EURO das grosse Ziel
Wir treffen die Rekordspielerin in Pfäffikon, wo sie sich zur Vorbereitung der beiden ersten Spiele in der Nations League mit dem Nationalteam befindet. Gegen Island (0:0) und Norwegen (1:2) lief es dem Team nicht wunschgemäss.
Crnogorcevic vermochte in ihren Länderspielen Nummer 164 und 165 das 75. (Jubiläums)-Tor noch nicht zu erzielen, doch es bestehen keine Zweifel, dass dies in den kommenden Spielen der Nations League und an der EURO gelingen wird. «Für uns ist die Nations League sehr wichtig, wir wollen in der obersten Kategorie verbleiben und uns gleichzeitig für die kommende FIFA-WM qualifizieren. Auch im Hinblick auf die EURO kommt diesen Partien hohe Bedeutung zu.» Für Trainerin Pia Sundhage geht es einerseits darum, jungen Spielerinnen Einsatzzeit zu gewähren, andererseits müssen jedoch auch Punkte gewonnen werden, um nicht aus der A-Gruppe abzusteigen.

Eine Art Skandinavien-Cup
Die Auslosung für die EURO bescherte den Schweizerinnen Gegnerinnen aus dem Norden. «Gegen Norwegen, Island und Finnland bestreiten wir eine Art Skandinavien-Cup. In dieser Gruppe kann jeder jeden schlagen, die Ausgangslage ist völlig offen», sagt Crnogorcevic. In Anbetracht der Stärke anderer Teams wie Spanien, Deutschland, Frankreich oder Holland, hätte die

Auslosung für die Schweizer Equipe allerdings auch wesentlich weniger vorteilhaft ausfallen können. «Wenn nicht jetzt, wann dann», sagt denn auch Ana-Maria Crnogorcevic in der festen Überzeugung, dass die Schweizer Frauen die Gruppenphase erfolgreich überstehen und sich für die Achtelfinals qualifizieren können. «Unsere Motivation könnte grösser nicht sein. Mit der Unterstützung des Publikums in den wohl ausverkauften Stadien in Basel, Bern und Genf wollen wir unsere Bestleistung zeigen und den Fans attraktive und erfolgreiche Spiele bieten.»

«Grossartig für die Stadt Thun»
Die Schweizer Frauen bestreiten eine EURO-Partie im Wankdorf in Bern, logieren wird die Schweizer Delegation dagegen in Thun, im Hotel Seepark, die Trainings finden auf den Anlagen des FC Dürrenast im Lachen statt. «Für Thun ist die EURO ein Anlass von riesiger Bedeutung. Der Werbeeffekt wird gross sein, die Gäste werden die Stadt, den See und die Berge geniessen und dereinst wieder zurückkehren», macht Cornogorcevic Werbung für Thun, wie es Stadtpräsident Raphael Lanz nicht besser tun könnte.
Ana-Maria Crnogorcevic ist überzeigt, dass die EURO im Schweizer Frauenfussball tiefe Spuren hinterlassen wird. «Die EURO wird mit Bestimmtheit einen Boom auslösen. In anderen Ländern, die zuletzt Ausrichter waren, löste der Anlass ein richtiges Feuer aus. Die Zahl der Fussball spielenden Mädchen hat sich verdoppelt, dies wird auch in der Schweiz nicht anders sein.»

Keine Gedanken an Rücktritt
Obwohl sie in diesem Jahr den 35. Geburtstag feiern wird, verschwendet Ana-Maria Crnogorcevic noch keine Gedanken an einen Rücktritt. «Bleibe ich gesund und erleide ich keine Verletzungen, ist dies kein Thema. Ich geniesse jedes Spiel und jedes Training, weshalb also sollte ich nicht weitermachen?»

Pierre Benoit


Ana-Maria Crnogorcevic wurde am 3. Oktober 1990 in Thun geboren. Sie ist Doppelbürgerin Schweiz/Kroatien.

Bisherige Vereine: FC Steffisburg, FC Rot-Schwarz Thun, FC Thun, Hamburger SV, VfL Wolfsburg, 1. FFC Frankfurt, Portland Thorns, FC Barcelona, Atletico Madrid, Seattle Reign FC.

165 Länderspiele (Rekord), 74 Tore (Rekord).

Erfolge
Einmal Siegerin der Champions League mit dem FFC Frankfurt (2015) und zweimal mit dem FC Barcelona (2021 und 2023).
Cupsiegerin mit Rot-Schwarz Thun und Schweizer Torschützenkönigin (2009). Viermal Spanische Meisterin mit dem FC Barcelona: 2020, 2021, 2022, 2023. Dreimal Spanische Pokalsiegerin mit dem FC Barcelona: 2020, 2021, 2022. DFB-Pokal-Siegerin 2014 mit dem 1. FFC Frankfurt.


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