Ferien auf dem Frachtschiff

  14.03.2024 Reportagen

Ein ungeahnt genussvolles Erlebnis.

Der Hamburger Taxi-Fahrer fragt mit arabischem Akzent nochmals nach: «Zum Containerterminal? Im Frachthafen?» Etwas ungläubig aber mit Interesse hört er sich auf der Fahrt meinen Plan von den Ferien auf einem Containerschiff an. Noch nie hätte er davon gehört und selbst wenn, er würde wohl eher einen Luxusliner wählen, bemerkt er lachend. Auf unserem Weg passieren wir im Hafen ein anlegendes Kreuzfahrtschiff. Mit Stolz erklärt er, dass darin 6000 Passagiere Platz finden. Das entspricht der Einwohnerzahl der Gemeinde Uetendorf. Ein Dorf macht gemeinsam Ferien. Das wiederum ist eine Vorstellung, die mir Unbehagen bereitet. Am Frachtschiff-Terminal angelangt, zögert er damit, meinen Koffer aus dem Wagen zu nehmen. «Fragen sie erst, ob sie hier wirklich richtig sind!»

Der Mann am Gate aber nickt zustimmend, als ich ihm den Schiffsnamen nenne und keine 10 Minuten später sitze ich im Shuttle-Bus, der mich zur MS RUMBA bringen soll. Der Weg entlang der Hafenmauer des Terminals Burchardkai – mit über einem Kilometer Länge der grösste im Hamburger Hafen – ist gesäumt von schwimmenden Frachtriesen. Davor reiht sich ein Containerkran an den anderen. Auf einer Schienenanlage bewegen sie sich entlang der Schiffe hin und her, laden und entladen emsig und in schwungvollen Bewegungen. Ihnen assistieren die zwar bemannten aber futuristisch anmutenden und überdimensionierten Stapelfahrzeuge. Scheinbar unzählige dieser Portalhubwagen rollen in unsichtbarem Konzept in alle Richtungen übers Gelände. Sie transportieren die bunten Behälter wie Legosteine von und zu den Schiffen, bevor sie wieder in einem mehrstöckigen, nicht überschaubaren Containerlabyrinth verschwinden. Ja, diese Woche hätte er Spätschicht, erzählt mir der Fahrer und bei seinen Ausführungen wird mir schnell klar, das Frachthafen-Business ist ein 24-Stundenbetrieb und kennt keine Wochenenden.

Ganz am Ende der Kaimauer stoppt er den Wagen vor einem gepflegten, leuchtend roten und vergleichsweise kleineren Schiff mit weissem Kommando-Turm. Noch bevor der Bus weiter rollt, eilt ein junger Seemann in signalfarbener Jacke und Helm den schmalen, mobilen Steg vom Schiff runter, begrüsst mich mit einem scheuen aber freundlichen «Hello» und bedeutet mir, ihm zu folgen. Er trägt meinen Koffer als wär’s eine Handtasche über den wackligen Steg und ich versuche einige Blicke aufs Schiff zu erhaschen, ehe ich ihm ins Turminnere und über die vielen schmalen und steilen Treppen folge. Auf Deck 4 öffnet Deins Edvards, so der Name des lettischen und mit seinen 22 Jahren jüngsten Crew-Mitglieds, die mit Eigner Kabine beschriftete Tür. Er stellt den Koffer ab und bittet mich mit knappem Englisch und sympathisch verlegenem Lächeln, ihn mit meinem Pass auf die Kommandobrücke in der 7. Etage zu begleiten. Ziemlich ausser Atem aber mit dem Versuch, mir das nicht anmerken zu lassen, treffe ich da auf zwei weitere Männer der insgesamt 14-köpfigen Besatzung. Ich strecke ihnen meine Hand entgegen und stelle mich vor. Der 2. Offizier, Egor, lächelt verschmitzt und sagt «ich weiss, ich habe ihre Anmeldedokumente bearbeitet». Maxim, der 1. Offizier und Stellvertreter des norwegischen Kapitäns, lässt seinen Blick durchs Brückenfenster auf die darunterliegende Fracht schweifen und erklärt mir in fliessendem Englisch, dass bald mit dem Entladen und Beladen des Schiffes begonnen werde. Er ist gross gewachsen, schlank, hat einen langen Bart und strahlt trotz seiner jungen 32 Jahre Souveränität und Ruhe aus.

Ich dürfe mich jederzeit hier auf der Brücke aufhalten, lässt er mich wissen, während Egor mir mit einem vertrauensvollen Nicken meinen Pass abnimmt und in einer Schublade mit einem Stapel vorwiegend dunkelroter und blauer Pässe aus Russland und Ukraine verschwinden lässt.

Unmittelbar vor meinem Kabinenfenster mit freiem Blick auf die Ladefläche spielt sich an diesem Abend über Stunden ein Container-Tetris (puzzleartiges Computerspiel eines russischen Programmierers) ab. Ich staune über das Tempo und die Präzision, mit welcher die Hafenkranführenden die Ladung in die Tiefe des Schiffsrumpfes passen und zu hohen Türmen aufbauen. Meine anfängliche Unsicherheit beim Betreten des Schiffes, ob das mit diesen Ferien hier eine gute Idee war, weicht noch am selben Abend einem überraschend wohligen Gefühl der Geborgenheit und grosser Neugier auf die bevorstehende Reise. In meiner Kabine, auf dem Sofa knieend, verfolge ich durchs Kabinenfenster gebannt das Treiben auf der Ladefläche, das mich auch in den folgenden Häfen immer wieder an einen Bienenstock erinnern wird. Die Reise von Thun nach Hamburg, die vielen Eindrücke des Tages und der leise surrende Heizstrahler an der Kabinenwand, lassen mich müde werden. Trotz dem geräuschvollen Betrieb an Deck unter den zahlreichen leistungsstarken Scheinwerfern in Hamburgs Hafen, dem Dröhnen des Elbe-seitig arbeitenden Tankschiffes, das die MS RUMBA mit 200’000 Tonnen Treibstoff befüllt, gleite ich weit nach Mitternacht in einen tiefen Schlaf. Deins Edvards, als Seemann im letzten Lehrjahr, hat mir vor meiner Ankunft ein wohlriechendes Bett bereit gemacht und auch wenn Duvet und Bezug im Format nicht ganz deckungsgleich sind, tut das der Schlafqualität keinen Abbruch. Nicht mal das Starten der Motoren um 5.00 Uhr weckt mich auf und so verschlafe ich das erste Ablegemanöver inklusive der Fahrt auf der Elbe flussabwärts in die Nordsee.

Einem der zahlreichen, laminierten Vorsichts- und Infoblätter, die in der Kabine, an Türen und überall im Flur angebracht sind, entnehme ich, neben dem Verbot die Türen geräuschvoll zu schliessen, unter anderem die Essenszeiten. Die knapp ausgefallene Instruktion bei Ankunft auf dem Schiff gibt einen klaren Hinweis darauf, dass man sich auf dieser Reise selbst beschäftigen und organisieren muss. Eine durchaus angenehme Begebenheit, wie ich finde, denn im Umkehrschluss werden an die Adresse des einzigen Passagiers auch keinerlei Erwartungen geknüpft. Es sei denn, man lässt sich über mehrere Stunden und vor allem zu den Mahlzeiten, nicht blicken. Das hat einen Anruf des 1. Offiziers ans Wandtelefon in der Eigner Kabine zur Folge, der sich absolut vorwurfsfrei rückversichert, ob man noch immer an Bord und wohlauf ist.

In weiser Voraussicht hatte ich vor meiner Abreise das Präparat Stugeron gegen Reisekrankheit besorgt. Nach dem Konsum lediglich einer Tablette, schmeckt das Frühstück, Toast und ein frisch zubereitetes Rührei vom Koch Vladimir vorzüglich.

Das Ablegen um 22.00 Uhr in Bremerhaven, nach Hamburg die einzige deutsche Station, bevor wir auf aufs offene Meer mit Kurs auf Norwegen steuern, will ich auf keinen Fall verpassen. Aber der Kapitän ist nicht auf der Brücke. Stattdessen sitzt im Kapitänsstuhl ein fremder Mann, der sich mit ausgeprägt deutschem Akzent mit Egor unterhält. Ich hatte ihn zuvor weder auf der Crewliste, die mir bei Ankunft anvertraut wurde, noch sonst wo auf dem Schiff begegnet. Aus Angst, ich könnte mich mit einer dummen Frage für den Rest der Reise blamieren, verkniff ich es mir, die Gründe dafür zu erörtern und als er das Schiff mit 10 Knoten nach Nordwest in die Nacht steuerte, ging ich schlafen. Die Erlebnisse der folgenden Tage sind so vereinnahmend, dass ich die Präsenz des deutschen Mannes an jenem Abend ganz vergesse. Das Rätsel löst sich erst in der letzten Nacht meiner Reise und ich hätte es nie erraten. Astrid Schmid

 


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