Haustier anschaffen – Gedanken im Vorfeld

  08.06.2023 Reportagen

Wer für ein Haustier die Verantwortung übernehmen will, sollte sich gut vorbereiten. Hier sind einige gedankliche Anstösse vor dem Tierkauf. Wir haben uns zudem bei zwei regionalen Tierinstitutionen umgehört.

Tiere üben auf viele Menschen eine grosse Anziehung aus – ganz besonders auf Kinder. Vor allem junge Tiere sind unwiderstehlich und der «Jöö-Effekt», den sie auslösen, ist unübertroffen. Doch wie wir wissen, werden sie alle gross, entwickeln ihr Wesen, vielleicht auch Eigenheiten, die mit unseren Vorstellungen nicht viel zu tun haben oder ihnen widersprechen. Zum Merken: Tiere sind eigenständige Lebewesen mit Ansprüchen und Vorlieben, die es von ihrem Menschenfreund wahrzunehmen gilt. Leider werden Haustiere oft spontan angeschafft, als Konsumgut angeschaut, vermenschlicht oder fallen nach kurzer Zeit aus der Mode und werden zu viel. Vergessen ist dann die Anfangs-Euphorie, als das Haustier einzog und man bringt es vielleicht in eines der (nur) 300 Tierheime in der Schweiz.

Das ist hinlänglich bekannt: Während des Lockdowns wurden viele Haustiere angeschafft. Aufgrund des erheblichen Anstiegs an Tieren, die nach der Pandemie von ihren überforderten Haltern in ein Tierheim gebracht wurden und immer noch werden, steht fest: Viele haben sich im Vorfeld keine oder zu wenig Gedanken darüber gemacht, mit welchen Veränderungen und Eventualitäten im Zusammenleben mit einem Haustier gerechnet werden kann. Neben den vielen sogenannten Verzichttieren in Tierheimen gibt es aktuell auch eine hohe Anzahl Findeltiere, die zu einem übermässigen Anteil nicht mehr an ihre Besitzer vermittelt werden können. Sowohl aus der Auffangstation für Findeltiere des Schweizerischen Tierschutzes Region Thun, in Unterlangenegg als auch aus dem Tierferienhof Rotachen in Heimberg ist zu erfahren: «Die Gründe, warum man ein Verzichttier nicht mehr bei sich haben kann, sind oft für uns nicht nachvollziehbar und eigentlich sind sie sekundär – für uns zählt das Tier und seine Bedürfnisse.»

Vor dem Kauf – Augen auf
Der Schock der Tiere, die von einem Tag auf den anderen von ihrem Zuhause wegmüssen, ist gross und auch der Frust bei den ehemaligen Besitzern ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Am häufigsten werden Katzen und Hunde ins Tierheim gebracht. Zudem: Nager, Vögel, Schildkröten, Pferde und Exoten, darunter Schlangen und Reptilien. Und auch wenn viele Tiere vermittelt werden können, müssen jährlich Tausende eingeschläfert werden (siehe Info-Box). Vor allem ältere Tiere oder solche mit besonderen Bedürfnissen, wie auch exotische Arten und problematische Rassen (z.B. Listenhunde) gelten als «schwer vermittelbar» – interessanterweise, einem Aberglauben entspringend, auch Tiere mit einem schwarzen Fell. Apropos Fell: Zuallererst und also vor dem Tierkauf sollte geklärt sein, dass man keine Tierfellallergie in sich trägt! Das ist nämlich später einer der häufigsten angegebenen Verzichtgründe.

Man sollte ausserdem über die Haltung der Tierart bestens informiert sein, die Kosten kennen sowie bei persönlicher Abwesenheit die Betreuung des Tieres im Vorfeld gesichert haben. «Auch eine Katze braucht Zeit», weiss Simone Oesch, Geschäftsstellenleiterin der Auffangstation für Findeltiere in Unterlangenegg. Sie ist froh: «Wir können eigentlich alle Tiere vermitteln, einige warten einfach etwas länger.» Doch auch in der Auffangstation im frisch sanierten Bauernhaus in Unterlangenegg beobachtet man seit Corona einen Anstieg von Verzicht- und Findeltieren. «Von Frühling bis

Herbst haben wir zudem immer viele trächtige wilde und halbwilde Katzen», berichtet sie. Unkastrierte Katzen, für die sich niemand verantwortlich fühlt, sind ein Riesenproblem. Neuerdings verschärfen Flüchtlingskatzen aus der Ukraine diese Situation zusätzlich. Gemäss einer Hochrechnung der Tierschutzorganisation Network for Animal Protection (NetAP) können von einem Katzenpaar in zehn Jahren über 80 Millionen Katzen entstehen.

Tierfreundschaft – ein Leben lang
Auf den Websites der Schweizer Tierschutzorganisationen gibt es viele nützliche Checklisten zum Studium vor dem Tierkauf. Generell gilt: Keine Tiere aus Qualzuchten! Leider blüht derzeit der Online-Handel mit Welpen, die aus illegalen Zuchtfabriken aus dem Ausland kommen. Alle, die da einen Welpen kaufen, unterstützen damit Tierleid und Tierquälerei! Ausserdem leiden Rassen mit extremen Merkmalen, wie zum Beispiel einer stark verkürzten Nase, ein Leben lang. Man sollte keine Tiere im Internet kaufen – und keine Tiere aus dem Ausland anschaffen, ohne die Herkunft genau zu kennen! Zudem ist es ratsam, die Wunschtierart zuerst kennenzulernen und sich bei anderen Heimtierhaltenden im Vorfeld zu informieren und so ein möglichst genaues Bild vom Alltag mit dem Wunschtier zu haben. Zum Mitschreiben: Ein Tier ist eine grosse Bereicherung für den Menschen, doch gibt es für den Halter, die Halterin immer auch zu tun.

«Wir haben so viele Tiere bei uns und so viele Anfragen, die uns erreichen», sagt Cyrine Falk, Inhaberin des Tierferienhofs Rotachen in Heimberg. Sie bedauert, aus Kapazitätsgründen, nicht alle Tiere bei sich aufnehmen zu können. Sie blickt aktuell zurück auf acht Anfragen von Hundebesitzern in drei Wochen. «Ein Drittel davon waren Hunde aus dem Ausland, die nun wieder wegmüssen, weil es nicht geht», informiert sie, sichtlich ergriffen.

An alle Möchtegern-Hundehalter:innen: Hunde lieben Aktivitäten und Beschäftigungen, die ihnen entsprechen. Zwei Spaziergänge pro Tag reichen für die meisten Hunde nicht aus! Viele sind damit unterfordert und fühlen sich gelangweilt. Daraus können Fehlverhalten und Ticks entstehen. Cyrine Falk fasst zusammen: «Passieren kann immer etwas Unvorhergesehenes, auch bei der exaktesten Planung. Schliesslich ist es doch ein Herzentscheid, zu dem man sich fragen darf: Kann ich die Verantwortung übernehmen? Passt das Tier auch in meinen Umkreis? Und: Wer schaut, wenn ich nicht mehr kann?» Barbara Marty

Laila, Ludmilla und andere Hunde sind zurzeit hier: www.tierferienhof.ch
Tiere suchen ein Zuhause auch hier: www.tierschutz-region-thun.ch


Haustiere in der Schweiz
In 44% der Schweizer Haushalte leben Haustiere, das sind: 
544 000 Hunde
1.85 Millionen Katzen; plus zirka 300 000 streunende Katzen
248 000 Kaninchen und Hasen
300 000 Vögel
413 000 Reptilien

Über 3 Millionen Aquarienfische

Quelle: Statista

Schweizerischer Tierschutz STS
Aus dem Jahresbericht 2022

Total 28 253
davon vermittelt 16 880
davon eingeschläfert/gestorben 1448
davon zurück an Besitzer:in 1703
noch in den Tierheimen 8222


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