Kleines Dorf – grosse Gemeinschaft
07.12.2023 ReportagenEin alter Spruch besagt: «Vor dem Holunder zieh’ den Hut, vor dem Wacholder geh’ in die Knie.» Gerne tun wir beides mit Blick auf Wachseldorn und die Ausführungen des Gemeindepräsidenten Martin Stegmann über den kleinsten Ort im Verwaltungskreis.
Hier heissen die Leute heute häufig Gerber, Müller und Rüegsegger. Latours oder Ummels wohnen zwar nicht im Ort, doch zählen der ehemalige Fussballer und Fussballtrainer Hanspeter Latour und der 1992 verstorbene Komponist und Jodler Jakob Ummel zu den bekanntesten Persönlichkeiten mit Heimatort: Wachseldorn. Die verträumte Ortschaft liegt eingebettet zwischen Hügeln und Wiesen nordöstlich von Steffisburg an den östlichen Ausläufern des Buchholterbergs. Die zwei grössten Siedlungen sind Wachseldorn-Dorf im westlichen und Süderen im östlichen Teil der Gemeinde, die sich zumeist auf einer Höhe um die 1’000 Metern über Meer, streuend erstreckt. Wachseldorn grenzt im Westen an Buchholterberg, im Norden und Osten an Röthenbach im Emmental und im Süden an Oberlangenegg.
Auf die Frage, warum man an diesem, auf den ersten Blick, unscheinbaren Ort wohnt, antwortet Gemeindepräsident Martin Stegmann, wohlwissend: «Wer hier weg will, muss zuerst etwas Besseres finden.» Konkret meint er damit: die hiesige sehr gute Luft, die Ruhe, das gute Klima und das ebensolche Verhältnis untereinander. Zudem: «Wir haben hier fast alles, was wir brauchen und eine genussvolle Aussicht in angenehmer Distanz zur Stadt.» Die kleine Streusiedlung auf der Hochebene Richtung Schallenberg ist für ihr urtümliches Naturschutzgebiet Wachseldornmoos bekannt. Hochaktuell wird sie jetzt wieder von vielen wegen ihrer idyllischen Langlaufloipe mit Start in Heimenschwand über Oberlangenegg, Süderen und Wachseldorn, besucht. «Unsere Besucherzahlen haben seit Corona das ganze Jahr über sehr zugenommen», berichtet der Gemeindepräsident. Zwar könne Wachseldorn eigentlich keine Parkplätze bieten und profitiere obendrein frankenmässig keineswegs von den Gästen. Denn es gibt keinen Laden oder sonstige kommerzielle Angebote. Trotzdem wird die Entwicklung wohlwollend gutgeheissen. Zum Festhalten: Der mit Schilf umwachsene Wachseldornsee befindet sich auf Gemeindeboden von Heimenschwand wobei auch dieses Kleinod längst kein Geheimtipp mehr ist.
Der Gemeindepräsident verrät uns schwärmend seinen Lieblingsort: «Da gibt es verschiedene Örtli – doch am Schönsten ist es auf dem Wachseldornhubel am Waldrand mit Blick zu den Siebe Hängste, dem Sigriswilergrat, und weiter Richtung Stockhorn, Schratteflueh.» Wer das einmal gesehen habe, den ziehe es immer wieder dahin, spricht er aus Erfahrung. Schliesslich ist der 51-Jährige hier geboren, aufgewachsen und dageblieben. Bereits seine Eltern und Grosseltern haben in Wachseldorn Landwirtschaft betrieben. Martin Stegmann führt die Tradition weiter. Seine grosse Leidenschaft gilt den Pferden, genauer: den Freibergern. Der Milchbauer und gelernte Landwirt und seine Frau züchten die Arbeitspferderasse seit vielen Jahren erfolgreich auf ihrem Hof in Wachseldorn-Dorf und sind dafür weitherum bekannt.
Martin Stegmann ist seit elf Jahren Gemeindepräsident; davor engagierte er sich während vier Jahren im Wachseldorner Gemeinderat für das Ressort: Schule/Bildung. «Die Schule gibt immer wieder zu reden», hält er fest. Vor 14 Jahren wurde darüber diskutiert, sie auszulagern. Glücklicherweise konnte dies dank dem Schulverbund mit Buchholterberg und Unterlangenegg vermieden werden. Das heisst: Im Schulhaus Wach-seldorn gibt es eine Basisstufe, ab der 3. Klasse besuchen die Kinder die Schule in Buchholterberg und ab der 7. Klasse gehen sie nach Unterlangenegg ins Oberstufenzentrum. Auch das Vereinsleben funktioniert grösstenteils im Zusammenschluss. So singt man im Buchholterberger Sunnsyte Chörli mit, schiesst in der Wolfrichti und spielt Unihockey im Badhaus und in Unterlangenegg sowie Eishockey in Oberlangenegg.
Da wenig Auswärtige zuziehen, nahm die Einwohnerzahl in den letzten 20 Jahren um einen Viertel ab. Stegmann hofft, dass in Zukunft wieder mehr Familien mit Kindern in Wachseldorn leben. Gut zu wissen: Zum Einkaufen gibt es in Süderen eine Bäckerei und zum Einkehren den Gasthof «zum Bären». Zudem hat es Auftrags-Metzgerei, Coiffeur, Tierarztpraxis, Zimmerei und eine Autowerkstatt in Wachseldorn. STI-Busse verkehren mehrmals täglich in 38 Minuten von Thun Bahnhof nach Wachseldorn-Dorf. Und aufgepasst: In der Nacht von Samstag auf Sonntag gibt es sogar einen Moonliner. Die Gegend ist stark bäuerlich geprägt. Wie überall wurde allenthalben betrieblich zusammengelegt. «Die bestehenden Betriebe sind gut funktionierend und können daher von der Milchwirtschaft und der Viehzucht leben», betont der Landwirt. Derweil sind die Baulandreserven ausgeschöpft, was als Glück angesehen wird. Es gäbe genug andere, die ihren Raum restlos verbauten, so Stegmann.
Die Kleinsten, die Hintersten, die Letzten
Wer sind die Wachseldorner:innen? Die Antwort des Gemeindepräsidenten kommt prompt: «Wir sind ‹settigi Lüt hie‹, die nicht unbedingt verwöhnt sind, es gewöhnt sind, einander zu helfen und zusammen zu stehen.» Nur so könne man etwas erreichen, ist er überzeugt. Zudem findet er: «Wir sind in einer guten Geschichte und haben es gut zusammen. Denn: Nehmen und Geben sind im Gleichgewicht. Und ganz wichtig: «Wir sind immer noch eigenständig, weil wir stets Leute finden, die bereit sind mitzuhelfen.»
Der Ortsname bezieht sich wörtlich auf eine altgermanische Bezeichnung für den Holunder. Die Dornen im Wappen lassen dann aber eher auf den Wacholder schliessen. Sei es drum: Wachseldorn besteht aus viel Moosboden und ist daher reich an Wasser. «Viele haben eigene Quellen, auch ich bin glücklich über das wertvolle Gut», freut sich Stegmann über den Wasserschatz. Apropos Wasser: Wachseldorn blickt zurück auf das erste, überaus wichtige Jahr mit einer öffentlichen Wasserversorgung im Verbund mit Eriz. Für die Zukunft wünscht sich Martin Stegmann: «Wir sind die Kleinsten, die Hintersten, die Letzten im Verwaltungskreis Thun und das wollen wir bleiben – auch nach einer allfälligen Fusion.» Barbara Marty
Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3618 Wachseldorn
Einwohner:innen: 225
Fläche: 351 ha
Wald: 81 ha
Höchster Punkt: 1034 Meter über Meer,
Wachseldornhubel
Steuerfuss: 1.84
www.wachseldorn.ch