Mit einem strahlenden Lächeln zu ausserordentlichen Leistungen

  22.02.2024 Reportagen

Der Blick auf den Thunersee lässt das Herz höherschlagen, das Wetter ist – wie bestellt – traumhaft. Wir parkieren vor Evas Seeblick, wo die Gastgeberin Zimmer und Wohnungen anbietet, für Leute, welche die Schönheiten des Berner Oberlands erkunden wollen.
Eva Hürlimanns Haare sind noch nass, sie hat ein leichtes Training auf dem Hometrainer absolviert. «Am Wochenende nehme ich’s manchmal locker», empfängt uns die Gastgeberin mit einem strahlenden Lachen im Gesicht.

Sie ist Weltmeisterin und Weltrekordhalterin in einer Disziplin, die bei Uneingeweihten nur Sprachlosigkeit hervorrufen kann. Eva Hürlimann ist Ultraathletin, die Beste der Welt. Ob ein Triple-Ultratriathlon mit 11 km Schwimmen, 540 km Velofahren und 127 km Rennen, ein Quintuple (fünffacher) Ultratriathlon oder ein Deca-Ultratriathlon (zehnfacher) in zehn Tagen – Eva Hürlimann ist derzeit eine der Besten auf der ganzen Welt. Um nochmals die Leserinnen und Leser in ungläubiges Staunen zu versetzen: Die Zahlen der Strecken, welche die Bernerin beim zehnfachen Triathlon bewältigt: 39 km Schwimmen, 1804 km Velofahren und 422 km Laufen – das alles in zehn aufeinanderfolgenden Tagen. 138 Stunden und 21 Minuten benötigte die dreifache Mutter bei ihrem Weltrekord, als sie die Bestzeit um sage und schreibe elf Stunden unterbot.

Keine Verbissenheit
Wer jetzt glaubt, einer verbissenen, nach Erfolg lechzenden, humorlosen, sturen Person gegenüberzusitzen, ändert sofort seine vorgefasste Meinung. «Ich habe keinen Trainingsplan, Priorität geniessen die Kinder», sagt Eva Hürlimann und ergänzt, «am Wochenende nehme ich es locker, wenn die Kinder da sind. Heute Abend gibt es Raclette mit Freunden, die zu Besuch kommen, und dazu geniesse ich gerne ein Glas Wein, denn Wein fasziniert mich, mein Vater besass einen Rebberg. Jetzt, in der Off-Season, haben der Genuss und das Soziale Platz, geht es Richtung Wettkampf, bin ich konsequenter und froh, dass mein Umfeld dafür Verständnis aufbringt.» «Sage ich Eva beim Vorbeilaufen in einem Ultratriathlon, dass sie noch 110 km vor sich hat, entgegnet sie, aber ich habe schon 16 km hinter mir», sagt ihr Lebenspartner und Betreuer Daniel Gruber. «Sie sieht das Ganze immer positiv.»

Der Blick zurück
Eva Hürlimanns Leben war schon in frühester Jugend von Sport geprägt. In Bern geboren und im Seeland aufgewachsen, betrieb sie während sieben Jahren Eiskunstlauf, schwamm im Schwimmklub Biel und fuhr mit ihren Eltern und den beiden Brüdern mit dem Velo nach Südfrankreich ans Meer in die Sommerferien. Nach ihrem Umzug nach Bern, wo sie sich zur Pflegefachfrau ausbilden liess, entdeckte Eva Hürlimann ihre Liebe zum Triathlon. Die polysportive Frau trat dem Triathlon-Verein Bern bei und hatte so grossen Spass, dass sich bei Wettbewerben sogleich die ersten Erfolge einstellten und die Distanzen immer länger wurden. «Ich entspanne mich schnell, meine Erholungszeit ist sehr kurz, ich habe einen guten Körper, praktisch nie Muskelkater.» Die Frage, wo denn das Geheimnis ihres durchschlagenden Erfolgs liege, überlegt Eva Hürlimann. «Es gibt keines. Es ist die Leidenschaft und die Energie, die ich für meinen Sport fühle», und ergänzt, «wenn es ein Geheimnis gibt, dann vielleicht, dass ich beim Schwimmen die Beine nicht benütze, nur mit den Armen crawle und als eine der Wenigen die Rollwende pflege und wohl als Einzige konsequent anwende. Meine Beine sind so noch frisch und locker, wenn es zum Radfahren und zum Laufen geht.»
Mit jeder Antwort, die wir von Eva Hürlimann erhalten, wird unsere Verblüffung grösser, fassungslos sitzen wir da und könnten das alles nicht glauben, wüssten wir nicht, dass es den Tatsachen entspricht. Tagesplan? Fehlanzeige. Wochenplan? Fehlanzeige. Trainingsplan? Fehlanzeige. Eva Hürlimann nimmt’s locker. Zuerst die Kinder, dann Evas Seeblick und erst nachher kommt das Training. «Manchmal mache ich am Abend mit meinem Schatz noch schnell eine Runde um den Thunersee.» Das sind immerhin 47 Kilometer, mit dem Ab- und Aufstieg von und nach Krattigen etwas mehr. Zeitaufwand für Eva Hürlimann: Zwischen eineinviertel und eineinhalb Stunden. «Gefährlich ist das nicht», sagt Daniel Gruber, der sie auf diesen Fahrten begleitet, «denn wir sind gleich schnell wie die Autos, manchmal schneller.»

Im Juni in Colmar
Der nächste Wettbewerb steht bereits auf dem Programm der Weltmeisterin und Weltrekordhalterin. Ende Juni nimmt sie in Colmar an der Weltmeisterschaft im Quintuple-Ultratriathlon teil. Im Elsass wartet starke Konkurrenz auf die Bernerin. «Ich möchte gerne auf dem Treppchen des Gesamtklassements stehen», sagt sie, ohne zu erwähnen, dass sie dazu mindestens 38 der 40 teilnehmenden Männer hinter sich lassen müsste. Beim letzten Weltrekordlauf landete sie im gemeinsamen Klassement der Männer und Frauen auf Platz 4, noch drei Männer waren schneller als sie. Gibt es denn bei den Frauen keine ernsthafte Konkurrenz? «Doch, ich bin in Colmar nur als Nummer 2 gesetzt, die Nummer 1 ist die Deutsche Mareile Hertel und auch die Österreicherin Xandi Meixner ist sehr stark, beide werden mich fordern», sagt Eva Hürlimann. «Bei so langen Rennen kann alles passieren. Die Frage ist, wie man in Krisensituationen damit umgeht.»
Bis sie ins Elsass reist, betreut sie ihre Kinder, sorgt in Evas Seeblick für Ruhe und Ordnung und hält Motivationsvorträge. Wer könnte dies besser als die Frau, die so ganz nebenbei in einer für Normal-Sterbliche unmenschlichen Disziplin mit Rekorden, Titeln und Siegen verblüfft? Zumindest finanziell lukrativ muss das alles sein, denn wer freiwillig solche Strapazen auf sich nimmt, wird bestimmt auch Preisgelder einkassieren, die zwar nicht gerade im Bereich Roger Federers liegen, aber sich doch sehen lassen. Auch hier liegen wir falsch. «Das Startgeld beträgt oft mehr als 1000 Franken, für einen Sieg als Weltmeisterin (sonst gibt es nichts) liegt höchstens der gleiche Betrag drin, von den Spesen nicht zu sprechen. Deshalb bin ich froh, dass mich einige Sponsoren wie Bikebox, INOW, Stähli Gartengestaltung, Velopa, Woo mit Nahrungsergänzung und neuerdings auch TimeTool und Komit aus Thun unterstützen, denn ohne sie könnte ich meine Passion nicht ausleben.»
Wir verabschieden uns, mit Training wird es wohl heute, «am lockeren Wochenende», nichts bei Eva Hürlimann. Schon bald gibt es Raclette und ein Glas Wein und die Ferien in Cambrils, «wir gehen ein bisschen velöle», rücken auch näher.

Pierre Benoit


Eva Hürlimann-Haueter wurde am 27. Januar 1983 in Bern geboren. Sie wuchs im Seeland auf und lebt heute in Krattigen. Sie ist Weltmeisterin und Weltrekordhalterin im Quintuple-Ultratriathlon und im Triple one per day. Eva Hürlimann ist alleinerziehende Mutter, führt Evas Seeblick in Krattigen und hält Motivationsvorträge.


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