«E herrleche Bitz Fläck»
04.08.2022 ReportagenDie kleine Gemeinde Amsoldingen am Fusse des Stockhorns ist landläufig bekannt für den schönen See, die kraftvolle Kirche und das alte Schloss. Das beschauliche Dorf rüstet sich für die Zukunft – mit Hofladen, Ortsplanungsrevision und Sanierung der Mehrzweckanlage.
Hier gibt es keine Ampeln und keine Stosszeiten, aber auch keine Dorfbeiz und nur wenige Einkaufsmöglichkeiten. Mit dem Bus ist man zwar in zwanzig Minuten am Bahnhof Thun. Doch fährt er oft nur stündlich. Im Auto legt man die Strecke in rund zehn Minuten zurück. Mehr Einkaufsmöglichkeiten gibt es in Thun-Allmendingen – erreichbar in fünf Autominuten. In Amsoldingen besitzen daher fast alle ein Auto. Amsoldingen ist überschaubar: Hier wohnen gegen 780 Leute. Die Einwohner:innen sind zum einen Alteingesessene, die sich beim Namen kennen und zumeist Schneiter, Bruni und Indermühle heissen. Daneben gibt es die Neuzugezogenen: Sie kamen, um an diesem schönen und ruhigen Ort zu wohnen. «Die geografische Nähe zu Thun ist Segen und Fluch zugleich», sagt Stefan Gyger mit Hinblick etwa auf fehlende Einkaufsmöglichkeiten im Ort.
Stefan Gyger ist seit fast zehn Jahren Gemeindepräsident von Amsoldingen. Als gebürtiger Thuner zog er vor 26 Jahren in das Dorf. Damals ist er von zuhause ausgezogen und hat nach einem schönen Wohnort gesucht – und ihn hier auch gefunden. Zusammen mit seiner Frau und ihren zwei gemeinsamen Kindern gehören heute die Gygers schon fast zu den Alteingesessenen. Für den 49-Jährigen steht es daher praktisch in Stockhornfels gemeisselt:
«Ich möchte nicht mehr weg von hier!» Der Gemeindepräsident und Versicherungsagent will mit seiner volksnahen und bodenständigen Art in den nächsten rund vier Jahren «sein» Amsoldingen einen guten Entwicklungsschritt weiterbringen. Dazu werden die Ortsplanungsrevision sowie die Sanierung der Mehrzweckanlage angegangen. Zudem eröffnet ein örtlicher Landwirt voraussichtlich noch in diesem Herbst einen zentralen Hofladen. Damit erhöht sich die Wohnqualität und das Dorf wird belebt.
Sippe und Schnalle
Der Gemeindename kommt aus dem Germanischen. Answaltinga waren die Leute aus germanischen Familien oder Sippen, die nach ihrem Oberhaupt «Answalt» genannt wurden. Um die Niederlassung der Answaltinga zu bezeichnen, sagte man bei den Leuten Answalt, und sie lebten «in Answaltingun». Daraus entstand im 13. Jahrhundert die Bezeichnung Ansoltingen. Später, in Angleichung an das gotische Wort «Amsel», das heutige Amsoldingen. Die goldene rautenförmige Schnalle auf blauem Grund im Gemeindewappen war das Familienwappen der «von Amsolt». Weil kein männlicher Nachwuchs geboren wurde, starb die Familie aus. Das Emblem wird seit 1955 als Gemeindewappen geführt.
Landwirtschaft und Kleingewerbe
Die Gemeinde blickt auf eine grosse landwirtschaftliche Tradition. Der Strukturwandel nimmt aber auch in Amsoldingen seinen Lauf. Den Landwirten fehlt häufig die Nachfolge. So werden die zusammengefassten Betriebe grösser und die Arbeitsbelastung nimmt zu. Auch sind die Umweltfaktoren stärker geworden. Zurzeit sind es noch zwölf landwirtschaftliche Betriebe, das sind zwei weniger als noch vor zehn Jahren. Daneben wirken drei Schafhalter und sechs Imker. Die Milch aus der Region wird aber noch nach alter Väter Sitte in der 1823 als Käsereigenossenschaft gegründeten Käserei Amsoldingen verarbeitet. Sie ist heute an der Hurschgasse und weitherum etwa für ihre Joghurts oder Mutschli-Spezialitäten bekannt. «Und den besten Schnaps gibt es von Bruni André», ergänzt Stefan Gyger. Vor Ort «geschäften» viele kleine Gewerbetreibende, rund 33 sind es mittlerweile.
See, Kirche und Schloss
Der Amsoldingersee ist ein sehr seltenes helvetisches Kleinod. Seine Moorlandschaft weist alle Flachmoortypen der Schweiz auf. Der See steht unter Naturschutz und ist in Privatbesitz des Schlossherrn Wofgang Hegner, eines Ur-Enkels von «Madame de Meuron». Auf dem Velo oder zu Fuss geniessen Ausflügler die wunderbare Sicht auf den See: Zwei Herzrouten von Veloland Schweiz führen durch die fruchtbare Moränelandschaft sowie einer der schönsten Abschnitte des Jakobswegs – nach Rüeggisberg. Die romanische Kirche wurde um das Jahr 1000 errichtet und ist eines der ältesten Bauwerke im Kanton Bern. Sie gilt als Kraftort. Schliesslich vervollständigt das Schloss aus dem 10. Jahrhundert das idyllische Dreigespann. Auch bewundernswert sind die uralten, zumeist aufwändig renovierten Häuser des Stockentaler Hausweges – etwa das Pfarrhaus, das Turmhaus oder die alte Mühle.
Jung und Alt
Dreh- und Angelpunkt in der aktuellen Entwicklungsgeschichte von Amsoldingen ist die Sanierung der Mehrzweckanlage. Aufgrund der Weltlage kommt sie die Gemeinde nun auf über vier Millionen Franken zu stehen – 20 Prozent mehr als anfänglich kalkuliert. Die Investition ist nötig, um etwa den zurzeit separaten Kindergarten mit der ersten und zweiten Klasse im selben Gebäude unterbringen zu können. Ab der dritten bis zur sechsten Klasse fahren die Kinder schon heute im Schulbus nach Thierachern.
Die älteren Schüler:innen legen die Strecke mit dem Velo zurück. Nach Sanierung der Mehrzweckanlage prognostiziert die Gemeinde für die nächsten 25 Jahre negative Betriebsergebnisse und schrumpfende Reserven. «Wir möchten die Schule erhalten – dank der Basisstufe wird sie auch weiterbestehen!», betont Stefan Gyger. Ab 2023 engagieren sich als Basisstufe noch zwei Lehrkräfte für die Kindergärtler und die Erst- und Zweitklässler. Die bereits ausgeprägte Bautätigkeit soll die zu revidierende Ortsplanung zusätzlich stützen: Das Einzonen wird möglicherweise in Amsoldingen für weitere 4000 Quadratmeter Bauland sorgen.
Barbara Marty
Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3633 Amsoldingen
Einwohner: 780
Fläche: 471 ha
Wald: 101 ha
Alp: 85 ha – Unterer Heitiberg
Steuerfuss: 1.85%