Viel Weitblick zwischen Aare und Gürbe
15.09.2022 ReportagenIn dieser Gemeinde am südlichen Rand des Gürbetals könnten die Menschen nicht unterschiedlicher sein. Dennoch leben sie gut nebenund miteinander. In Seftigen fühlt man sich wohl, und die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Dorfgemeinschaft.
Der Fixstern im Dorfleben von Seftigen ist das alljährlich stattfindende Dorfturnier: Wenn sich an einem Wochenende im August «tout» Seftigen zum dreitägigen Plausch-Fussballturnier des Turnvereins trifft. Wer da Ausschau hält nach der typischen Seftigerin, dem typischen Seftiger, kann lange schauen. Offensichtlich soll es die oder den nämlich nicht geben. Einer, der das weiss, ist der gebürtige Amsoldinger Simon Ryser. Er wohnt seit 15 Jahren im Ort und ist seit 2017 Vize-Gemeindepräsident und Leiter Ressort Finanzen und Steuern. «Wir Seftiger:innen sind überaus heterogen und leben sehr gut miteinander».
Er umschreibt das für «Seftiger:innen Typische» schmunzelnd so: «Wer in Seftigen lebt, engagiert sich in mindestens einem Dorfverein.» So hat die hiesige Vereinswelt Diverses zu bieten und ist sehr aktiv. Neben Fussball wird rege Unihockey gespielt: «Unihockey Berner Oberland hat mit seiner Damen-Nati-A hier seinen Heimspielort», fügt Simon Ryser begeistert hinzu. Ryser nennt für seinen Wohnort erster Wahl diese Prädikate: «Familiär, modern-ländlich und wir sind umsichtig vorausschauend.» Nach ländlicher Sitte wird jede und jeder gegrüsst. Die typischen Familiennamen sind: Dähler, Gurtner und Schneider.
Der Stolz der Seftiger:innen gilt bis heute dem Fakt, während 400 Jahren, also bis Ende 2009, Hauptort des Amtsbezirks Seftigen gewesen zu sein. Somit hatte man auch den Statthalter- und Richteramtsitz für 25 Gemeinden inne, die heute zum Verwaltungsbezirk Belp gehören. Wogegen Seftigen politisch im Verwaltungskreis Thun ist. Apropos Politik: Ein gebürtiger Seftiger erscheint in entscheidenden Momenten der Eidgenossenschaft im Schweizer Fernsehen: «Der Politologe im SRF-Wahlbüro heisst Lukas Golder und ist als Sohn eines Landarztes in Seftigen aufgewachsen – seit 2017 erläutert er die Abstimmungsresultate.»
Chefeli, Champignons und Cabernet
In Seftigen kommt man um etwas nicht umhin: Es ist das örtliche Wahrzeichen, das Chefeli. 2013 konnte das 1612 erbaute Gefängnis denkmalgerecht saniert werden. Letztmals «bewohnt» wurde der Käfigturm – das von allen liebevoll benannte Chefeli – im Jahr 1926 durch einen internierten Soldaten.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Dorf im Jahre 1244 unter dem Namen Seftinges. Der Name wandelte sich und wurde zirka 1540 zur heutigen Bezeichnung Seftigen. Im Gemeindewappen ist in flammendem Rot eine silberne Spitze und eine Blume ähnlich einer Rose abgebildet. Es ist das Wappen des Berner Geschlechtes «von Seftigen». Noch im 18. Jahrhundert war unter der Linde im Hüsi – beim heutigen Bio-Hof Dähler – der Landstuhl zu sehen, wo Recht und Unrecht gesprochen wurden.
«Wir haben viele Gewerbetreibende», schlägt Simon Ryser den Bogen zu Heute. Darunter einige Handwerksbetriebe, auch spezialisierte und natürlich Friseure. Besonders erwähnenswert sind zwei Produkte von hier: die weitherum bekannten Gerber Champignons und der von der Gastronomie als Spitzenwein klassierte Tropfen der hiesigen Winzerfamilie Rindisbacher. Zudem gibt es hier mehrere Restaurants, einen Lebensmittelladen mit Bäckerei und Metzgerei, sowie eine Pizzeria mit Lieferdienst.
Ryser betont zudem die gute verkehrstechnische Erschliessung: «Mit dem ÖV ist man in dreissig Minuten in Bern und in elf Minuten in Thun.» Wobei es seit Jahren einen neuralgischen Punkt gibt: Im Schnitt fahren über 7000 Fahrzeuge täglich durch das Dorf. Dabei kreuzt die Hauptstrasse die BLS-Bahnlinie und sorgt beim rollenden Verkehr im Halbstunden-Takt für Wartezeiten und Rückstaus. Schon lange sucht man vergeblich nach einer Lösung: «Das Verkehrsproblem ist verzwackt und Konzepte scheiterten bis jetzt immer aus irgendeinem Grund.»
Grosses Thema: Hochwasserschutz
Aufgrund der Hochwasser im Juni 2021 hat der Gemeinderat Abklärungen getroffen. Die eingekesselte Lage des betroffenen Raumes, und der Boden mit viel Sandstein und wenig Humus bedeuten eine begrenzte Aufnahmefähigkeit des Bodens. Das Wasser sammelt sich zudem sehr zentriert in der Stampfimatte. «Wir überprüfen die dafür eingegangenen Konzepte – bestimmt ergibt sich eine Kombination von Massnahmen.» In Seftigen bewirtschaften insgesamt 14 Landwirte die Böden. Sie sind den erhöhten Naturgefahren zum Teil besonders stark ausgesetzt und «bewirtschaften ihre Höfe dementsprechend», lobt Simon Ryser.
Ein Ort für Familien
Seit 1970 hat sich der Gebäudebestand in der Gemeinde mehr als verdreifacht. Wobei kein verdichtetes Wohnen nötig ist; man verfügt über Raum. Die Soziodemografie liegt im kantonalen Schnitt, obschon mit einer leichten Tendenz zur Überalterung. Erst kürzlich wurde das Wohn- und Pflegezentrum Chappele mit 37 Mietwohnungen und einem Wohn- und Pflegezentrum eingeweiht. Damit strebt man das Nebeneinander von Jung und Alt an. Seit 2020 gibt es auf dem benachbarten Areal eine KI-TA und eine Tagesschule. Die Kinder gehen von der ersten bis zur neunten Realstufe im Ort zur Schule – die Sekundarstufe ist in Wattenwil. Das Schulthema beschäftigt momentan die Gemüter. Dazu Ryser: «Unser Schulhaus ist in die Jahre gekommen.» Bevor wir baulich an die Sache herangehen, wollen wir Grundsatzentscheide für die spätere Planung herbeiführen. Das Projekt ist sehr komplex und läuft seit zwei Jahren. Die zentrale Frage lautet: Was dient den Kindern am meisten? Es sei zugleich die schwierigste Frage, schliesst der begeisterte und engagierte Familienmensch und Politiker unser interessantes Gespräch.
Barbara Marty
Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3662 Seftigen
Einwohner: 2176
Fläche: 390 ha
Wald: 65 ha
Höchster Punkt: 696 m ü. M. – «Berg»
Steuerfuss: 1.74%