«Bäume gewinnen an Wert»

  24.11.2022 Reportagen

Baumpflegespezialist:innen wissen das. Sie kümmern sich um Bäume im urbanen Raum von der Pflanzung bis zur Fällung. Zudem erstellen sie Gutachten. Beim Klettern auf Bäume haben auch wir uns einen Überblick verschafft und dabei einen interessanten Eindruck in ein vielfältig spezialisiertes Berufsfeld gewonnen.

Der Baum steht für Wachstum, Fruchtbarkeit und Gedeihen. Er ist auch Sinnbild des Lebens und verkörpert Beständigkeit. Ein Baum bietet Lebensraum und erfüllt zahlreiche Funktionen und Aufgaben: Wer hält sich nicht gerne in seinem lauschigen Schatten auf – erfreut sich im Herbst an seiner prächtigen Blattfärbung oder der reichlichen Ernte? Zudem ist sein wirtschaftlicher Nutzen nicht zu unterschätzen und sein ökologischer Wert gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Bäume begleiten uns ein ganzes Leben lang und überdauern sogar Generationen. Nicht von ungefähr verbinden wir mit ihnen Stabilität und Langlebigkeit. Doch haben es Bäume heute oft schwer, alt zu werden. Häufig müssen sie neuen städtebaulichen Projekten weichen und fallen Strassen und Gebäuden zum Opfer. Gewisse Fällungen machen Sinn, insbesondere wenn es um die Sicherheit geht. Einen Baum jedoch zu fällen, nur weil das Laub stört, darf gerne hinterfragt werden. Der Ersatz durch eine Neupflanzung ist nämlich nie gleichwertig und bloss ein schwacher Trost. «Bäume werden im Alter besonders interessant als Lebensräume – mit ihren Höhlungen, Faulstellen und Löchern bieten sie Unterschlupf für viele Tiere», weiss Fabio Wicki als erfahrener Baumpflegespezialist FA.

Beeindruckendes Alter
Bis ein Baum seine maximale Höhe erreicht dauert es Jahrzehnte. Wie alt er wird hängt in erster Linie von der Baumart ab. Von unseren heimischen Laubbäumen werden Eiche und Linde am ältesten, sie können 1000 Jahre überstehen. Eine Fichte hat im Schnitt eine Lebenserwartung von 400 bis 500 Jahre – unter perfekten Bedingungen kann sie sogar für Rekordwerte sorgen. Für die Lebenserwartung spielen zudem Faktoren wie Standort, Wasser- und Nährstoffversorgung eine entscheidende Rolle. So haben etwa Stadtbäume wegen der Emissionen im Allgemeinen eine niedrigere Lebenserwartung als ihre Kollegen im Wald und auf dem Feld. Der Baumspezialist erklärt: «Ein Baum in freier Wildbahn hat das einzige Ziel, seine Art zu erhalten und richtet sich dazu optimal aus: Der Baum geht selber mit allen Einflüssen um – kommt dabei niemand zu Schaden, braucht es kein menschliches Eingreifen.»

Gut ausgebildete Berufsleute
Im besiedelten und also urbanen Raum haben Menschen die unterschiedlichsten Ansprüche an Bäume – etwa auch in Bezug auf die Sicherheit für Gebäude, Autos und Zufussgehende, sowie in punkto: Früchte, Farben und Formen. Es liegt daher auf der Hand: Im Umgang mit Bäumen ist Wissen und Erfahrung gefragt. Baumpflegespezialist:innen sind die Fachleute für die Baumpflege und bringen das entsprechend tiefe «Know-how» mit. Den Lehrgang als Weiterbildung mit eidgenössischer Berufsprüfung gibt es in der Schweiz seit den späten achtziger Jahren.

Im Moment erhalten jährlich im Schnitt zirka dreissig frische Baumpflegespezialist:innen den Fachausweis. Dazu leisten sie viel und bringen vor allem bereits mehrjährige Erfahrung mit: «Voraussetzung für die Prüfungszulassung sind vier Jahre Praxiszeit in der Baumpflege für Quereinsteiger und zwei Jahre für Berufsleute aus der grünen Branche», sagt Fabio Wicki. Der Thuner hat den Fachausweis seit 2006 und engagiert sich im Berufsverband als Co-Experte bei den Abschlussprüfungen und als Helfer bei den alle zwei Jahre stattfindenden Klettermeisterschaften/Berufsmeisterschaften.

Nach dem Vorbereitungskurs mit dem Wissen zu allen Fachbereichen umfasst der Lehrgang am Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum LBBZ in Cham einen rund achtwöchigen Lehrgang in der Baumpflege. Dazu sagt der Baumpflegespezialist: «Wir sind sehr gut ausgebildet – etwa in: Bodenkunde, Pflanzensystematik, Morphologie, Gehölzphysiologie, Holzanatomie und kennen die Gehölzarten und ihre artspezifischen Ansprüche. Wir können einen Baum beurteilen, kennen die Rechtsgrundlagen und beherrschen die Baumpflege-Technik von A bis Z – auch in schwindelerregender Höhe arbeiten wir stets top-sicher.»

Der Wert eines Baumes
Das Interesse an Bäumen und deren Pflege nimmt in letzter Zeit zu. Fabio Wicki beobachtet: «Bäume gewinnen an Beachtung – in der Bevölkerung, bei Gärtner:innen, sowie in Gemeinden und Städten wird daher unsere Dienstleistung immer wichtiger und man ist sensibilisiert.» Dem urbanen Grün kommt nicht zuletzt in Zeiten des Klimawandels eine starke Bedeutung zu. Der Baum sorgt für: Wasserspeicherung und kontrollierte Verdunstung und schwächt die Wirkung von Starkregen und Temperaturextremen ab. Das Mikroklima im öffentlichen Raum wird verbessert. Der Wärmeinsel-Effekt wird verringert, sowie die Feinstaub- und CO2 -Belastung minimiert, und der Energieverbrauch von Gebäuden wird reduziert.

Abgrenzung zum Gärtner und Förster
Gärtner:innen kümmern sich ebenfalls um Bäume und leisten sehr viel. Fabio Wicki sieht die Übergänge zwischen den zwei Berufszweigen fliessend: «Wir streben Kooperationen mit Gartenbauleuten an – dabei können alle profitieren.» Je nach Ausbildung erledigen Gärtner:innen einfache Schnittarbeiten an kleineren Bäumen sowie Ertragsschnitte an Obstbäumen. Oft stellen sie auch den Kontakt zwischen Baumbesitzer:innen und Baumpflegespezialist:innen her. Forstleute pflegen die Wälder – auch im urbanen Raum. Wie die Baumpflegespezialist:innen führen auch sie (Spezial-)Fällungen im privaten Bereich aus. Wenn es aber darum geht, die Stand- und Bruchsicherheit eines Baumes zu beurteilen, sowie erforderliche Massnahmen zu planen und Jungbäume zu pflanzen, kommt Wicki mit seiner Gilde gerne zum Einsatz. Er betont: «Bei Fragen rund um Bäume in bewohntem Gebiet sind wir die Fachleute, die umfassend beraten und allenfalls vermitteln.»
Zum Mitschreiben: Schlechte und alte Schnittarbeiten oder Grabarbeiten im Wurzelbereich erzeugen viele Folgeschäden – auch Stürme, die Kronenteile abbrechen und Trockenheit/Hitze nehmen erheblichen Einfluss auf die Vitalität der Bäume.

Bäume pflanzen – wo möglich einheimische!
Im Frühling und im Herbst ist die beste Pflanzzeit für junge Bäume. Neu gepflanzte Bäume sind essenziell für das Klima und wirken sich positiv auf ihre Umgebung aus. Da sich die klimatischen Bedingungen stets ändern, darf immer wieder neu geprüft werden, welche Baumsorten auf welchen Böden und Standorten am idealsten angepflanzt werden sollten. Dazu der Baumprofi: «Die Buche und die Fichte leiden stark unter den klimatischen Veränderungen – ihre Vorkommnisse verlagern sich daher in höhere Lagen (Fichte) oder sie verschwinden möglicherweise aus unseren Breitengraden (Buche).»

Stadtbäume haben einen äusserst schweren Stand: Sie müssen etwa besonders stabile Kronenformen ausbilden, Streusalzresistent sein, sowie Sonneneinstrahlung, Hitze und Trockenheit aushalten. Einheimische Baumarten sind da oft ungeeignet. Baumpflegespezialist:innen beraten zu Pflanzarbeiten und helfen bei der Wahl der optimalen Baumart. Fabio Wicki wünscht sich: «Mehr Respekt und Wertschätzung für die Bäume!» Denn allzu oft beobachtet er einen achtlosen Umgang mit ihnen, weil deren Existenz als zu selbstverständlich angeschaut wird.
Barbara Marty
www.baumpflege-schweiz.ch

 


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