Menschen berühren – mit Sagen und Gesang
17.11.2022 ReportagenDer Sagenwanderer Andreas Sommer und die Sängerin Nathalie Gähwiler schaffen mit ihrer Kunst Räume, wo die Menschen ganz im Hier und Jetzt ankommen. Ihre leisen Töne lösen etwas aus und sorgen damit auf Herz- und Seelenebene für ein inneres Echo aus vergessener Zeit. Eine Begegnung mit zwei Nomaden im Herzen.
Der Klang der Wüste ist die Stille. Zwei, die davon ein Lied singen können, sind Andreas Sommer und Nathalie Gähwiler. Vor gut zwanzig Jahren zog der in Niederscherli geborene Andreas Sommer aus, um als Tourguide in der Sahara und beim Nomadenvolk der Tuareg zu wirken. Etliche Jahre lang führte er Gruppenreisende durch die Wüste und lernte dabei die einfache, gemeinschaftliche Lebensweise der Nomaden kennen und schätzen. In diesem Ödland wurzelt denn seine eigene, heutige Erzählkunst: «Ich hing an den Lippen der Tuareg und fing zu der Zeit an, ihre zumeist am Lagerfeuer erzählten Geschichten für mich aufzuschreiben», erinnert er sich, begeistert wie am ersten Tag.
Andreas Sommer hat von den Tuareg und ihrer Kultur viel gelernt. Die gemeinsame Zeit hat ihn zurück zum Elementaren, Archaischen geführt. Fasziniert ist er insbesondere von dem Magischen in ihrem Weltbild: Man achtet vieles, hält sich an die Rituale, meidet Plätze und kennt Zaubersprüche – «dort lebt alles, die Tuareg lesen die Zeichen der Natur und sehen darin die tiefere Bedeutung», so wertschätzt er und anerkennt: «In so einem kargen Lebensumfeld wird man auf sich selber zurückgeworfen». Doch nicht nur das! Andreas Sommer hat in diesem Trockengebiet auch die Liebe seines Lebens kennengelernt: Sie heisst Nathalie Gähwiler und stammt wie er aus dem Gantrischgebiet, nämlich aus Riggisberg. Als junge Maturandin besuchte sie die Wüste, um ihre Maturaarbeit über die Tuareg zu erarbeiten. «Aus diesem Grund kam ich zu guten Konditionen und belegte einen Platz in Andreas’ Reisegruppe», erinnert sie sich mit einem Lächeln. Auch Nathalie Gähwiler prägte die Begegnung mit dem Klang der Wüste, also mit der Stille und dem einfachen Nomadenleben. «Das Zurückbesinnen auf das Wesentliche gefällt mir noch heute sehr», sagt sie. In ihrem Leben war sie nun schon viermal in der Wüste und kam immer «irgendwie verändert wieder zurück in die Schweiz», erzählt sie. Was sie da alles erlebt haben, möchten Andreas und Nathalie auf ihre Art den Menschen hier weitergeben. Diesem Überbringen gilt ihre grosse Inspiration.
Doch nach der gemeinsamen Tuareg-Tour sollten erst sechs Jahre ins Land ziehen, bis die Musikerin und der Sagenwanderer zusammenkamen. Das Paar lebt heute mit ihren drei Töchtern Eyana, Aliénor und Esmeralda in einem alten Bauernhaus im magischen Eriztal. Vor fünf Jahren reisten sie auch als Familie nach Marokko und tauchten tief ein, in den Klang der Wüste.
Für die Kraft und das Wohl
Nathalie Gähwiler wurden ihre schöne Stimme und eine grosse Musikliebe in die Wiege gelegt. «Ich singe einfach gern – Singen war für mich immer etwas ganz Natürliches», sagt sie. So besuchte sie später ein paar Jahre die Jazz-Schule und belegte viele Kurse. Sie lässt sich gerne unterschiedlich inspirieren. Ihre Lieder sind zu einem Teil «Kraftlieder». Das sind aufbauende Lieder, die den Menschen in seinem ganzen Sein miteinbeziehen – also mit Körper, Emotionen, Geist und Spiritualität. Sie ist überzeugt: «Jeder kann singen, und jede Stimme ist individuell und einzigartig wie ein Fingerabdruck.» Ihr Repertoire umfasst zudem Lieder etwa aus dem Indianischen, Hebräischen, Afrikanischen und Französischen. Daneben spielt sie Lieder aus alten Gesangbüchern neu ein, oder sie hört etwas und schaut, wie sie das Stück mit der Gitarre begleiten kann. Neben Stücken von ihren Lieblingsliedermacherinnen singt sie auch Röseligarte-Lieder oder übersetzt Bestehendes ins Berndeutsche. Wie etwa das liebliche Lied: «I nime d’Sunne i mis Härz», welches sie für uns an diesem sonnig-milden Oktobernachmittag bei den «verheite Flüä» in Steffisburg singt. Nathalie Gähwiler will aber nicht bloss allein singen. Am liebsten singt sie zusammen mit den Leuten und im Einklang mit ihrem Partner, dem Geschichtenerzähler. Dabei begleiten ihre Lieder und Geschichten Lauschende etwa durch den Jahreskreis – flankiert von Gitarre, Trommel und Flöte singt das Paar auch zusammen.
Die beiden Kunstschaffenden traten schon oft in Höhlen im Murtenbiet, im Gantrisch oder auch in den Beatushöhlen auf. Zu den Beatushöhlen hat Andreas Sommer eine besondere Beziehung: Bis vor zwei Jahren war er da als Tourguide tätig. Bei einem Auftritt der Beiden in der Höhle spielt neben der Stille auch die Dunkelheit eine tragende Rolle: «Zwischen unseren Liedern und Geschichten das Licht ganz auszumachen und im Dunkeln still zu sein, ermöglicht vollends das Eintauchen in das Magische», beschreibt Andreas Sommer. Daneben hat es an ihren Anlässen Platz für das Zusammensein am Feuer, bei Tee und Gesprächen. «Die Leute sagen uns oft, sie fühlen sich danach genährt, konnten abschalten, eintauchen, alles andere vergessen», berichtet der Geschichtenerzähler.
Geschichten gehören allen
Geschichtenerzählen ist ein uralter Beruf, der nun in der modernen westlichen Welt vermehrt wieder Aufmerksamkeit erfährt. Denn Geschichten haben für die menschliche Entwicklung seit jeher eine grosse Bedeutung. So wie wir einst lernten, das Feuer zu nutzen, lernten wir auch, die Kraft der Geschichten und des Erzählens zu gebrauchen, um Bewusstseinsräume zu erweitern. Beim Lauschen von Andreas Sommer’s Erzählungen in Dialekt fällt einem das Eintauchen in innere Bildwelten leicht. Als Sagenwanderer umfasst sein Repertoire viele heimische Märchen, Mythen und Sagen. Damit knüpft er stets auch eine Verbindung zum Hiesigen, zum Örtlichen. Die wohl grösste Inspiration findet er in der alten Mythologie unserer Vorfahren, bei den Germanen und Kelten. «Viele unserer Sagen kommen von ihnen – durch die Christianisierung und den Wechsel von Zeitgeist wurden sie bewusst verzerrt und institutionalisiert», weiss er. Einige befreit er kundig von ihrem gesellschaftlich-moralischen Überbau, schreibt sie um, sodass sie erneut «universell und zeitlos» sind. Er kennt eine Vielzahl Sagen und Mythen aus dem Bernbiet und verfügt über einen reichen Schatz an Geschichten.
«Mein Anliegen damit ist es, die Menschen mit ihrer Umgebung/Landschaft wieder in einen neuen, tieferen Bezug treten zu lassen – sodass sie das Magische in der Natur und also ihren Zauber wieder sehen können», sagt der Sagenwanderer. Er ist überzeugt: «Wenn mehr Respekt und Achtung da sind, trägt man mehr Sorge, weil die Verbindung wieder da ist.» Beim Austausch am Feuer fällt den Zuhörenden die Erinnerung an das Einfache, das Archaische und also das Verbindende leicht.
Zeitlos und universell
Andreas Sommer schreibt auch eigene Geschichten. Dabei bedient er sich etwa einzelner Fragmente aus mündlich Überliefertem, schmückt es aus oder vernetzt verschiedene Sagen und Mythen miteinander. Er entdeckt dabei selber Naturschätze in Sagenwelten und umgekehrt. Bereits sind von ihm im Weber-Verlag erschienen: zwei Naturmärchen und die sagenhaften Wanderungen am Gantrisch. Demnächst folgt eine weitere Sagensammlung aus dem Gantrisch. In seiner Schreibstube im Eriz liegen zudem zwei sagenhafte Romane aus der Vergangenheit unserer Region parat.
Nathalie und Andreas als Duo «Sagasang» setzen bewusst einen Kontrast zur vorherrschenden Hektik und der materiell-orientierten Lebensweise. Im Alltag sind aber auch sie konfrontiert mit den Herausforderungen von Medien, Schule und Wirtschaft. «Wir stehen nicht immer in unserer Mitte», erklären die beiden. Wenn sie singt und er erzählt, nähren sie auch sich selber und ihr Publikum, indem sie einladen: für einen Moment, innezuhalten.
Barbara Marty
Sagasang mit «Seelensee»
Samstag, 19. November, ab 19.30 Uhr
Im Kasperlikeller, Steffisburg
Sonntag, 8. Januar 2023, ab 17 Uhr
Im Tempel, Steffisburg
Märchen und Sagen zur Winterzeit
Mittwoch, 30. November, ab 17.30 Uhr
Rudolf Steiner Schule, Steffisburg
Singen & Sagen
Mitttwoch, 28. Dezember, ab 18.30 Uhr
Beatushöhlen, Sundlauenen
Kraftliedersingen
Jeden Montag, 19.30–21.00 Uhr
Im Tempel, Steffisburg