Weitsicht dank Mut und Gemeinschaftswerk

  10.11.2022 Reportagen

Das Dorf Fahrni gibt es an sich nicht. Die Gemeinde besteht aus Weilern und Höfen auf den Höhen zwischen den Tälern der Rotache und der Zulg. Die idyllische Hügel- und Waldlandschaft ist bäuerlich geprägt und die Leute sind einzigartig vielfältig. Eine Erkundungstour.

Hier ist der Gemeindepräsident ursprünglich gelernter Landwirt und arbeitet zu hundert Prozent als Polizist bei der Kantonspolizei in Thun. Als Heimwehbauer packt er ab und zu gerne selber auf einem Hof in seiner Gemeinde Fahrni mit an und hilft aus. Angeheiratet und 2008 mit der Familie von Steffisburg zugezogen, verkörpert Stephan Althaus vorbildlich die hiesige Besonderheit und bringt diese folgendermassen auf den Punkt: «Bei uns ist das Gemeinsame das Herzstück.» Dies, obschon es für die Leute von Fahrni kein eigentliches Dorf mit Post, Lädeli, Käserei und Dorfbeiz gibt. Die Gemeinde Fahrni besteht aus vielen, zum Teil weit verstreuten Weilern und Höfen. Den Bauernhöfen kommt da eine besondere Rolle zu, denn sie prägen seit jeher Land und Leute. Noch heute wirken auf Gemeindeboden ungefähr 45 Bauernbetriebe – mehr oder weniger ausgeprägt. Fast alle der Landwirte haben einen Zusatzerwerb. In den letzten zehn Jahren hat niemand mit dem Bauern ganz aufgehört, ausser es fehlte die Nachfolge. Zwar ist der Strukturwandel sichtbar: «Im Frühling und im Herbst besuche ich immer die Viehschau, wo die Kühe ‹schön zwäg gmacht› und geschmückt sind», berichtet der Gemeindepräsident mit glänzenden Augen. Doch seit ungefähr sechs Jahren beobachtet er einen Rückgang der Kühe. – Warum? «Viele haben auf Mutterkuhhaltung umgestellt, daher sind weniger Kühe an der Viehschau», sagt er mit etwas Wehmut in der Stimme.

Ob in Aeschlisbühl die Leute anders seien, als auf dem Embergboden, will ich von ihm wissen. Stephan Althaus antwortet, lachend: «Generell sind die Leute hier vielfältig und anders als im übrigen Verwaltungskreis – wir sind in unseren Weilern stark und autonom organisiert.» Zum Fahrnitypischen Geist betont er: «Auf unsere grosse Vielfalt sind wir stolz und leben sie auf einzigartige Weise.» Früher funktionierten die Weiler selbstorganisiert wie kleine Dörfer. Zusammengefunden habe man sich dank der Musik, erzählt Althaus. Damals hatte jeder Flecken seine eigene Musikkapelle. Um mehr zu erreichen, hat man sich schliesslich zusammengetan. So wurde Fahrni im 19. Jahrhundert zur eigenständigen Gemeinde. Vorher gehörte das Gebiet zum Langeneggdrittel. Damals gab es noch einen Weiler mit Namen «Fahrni» – ein Ortsteil, der stark mit Farnkraut bewachsen war. Der grüne Farnzweig im silbernen Schrägbalken auf rotem Grund ist zum Wahrzeichen geworden. Das Wappen wurde für die Landesausstellung in Lausanne 1964 geschaffen.
Zum heutigen Gemeindegebiet gehören die Siedlungen Lueg, Aeschlisbühl, Mürggen, Rachholtern, Lood, Fahrni-Dörfli, Bach und Embergboden. Rachholtern ist mit Kirche, Schule, Raiffeisenbank und Gemeindeverwaltung das eigentliche Zentrum der Gemeinde. Die Familiennamen Althaus, Bacher, Berger, Eymann, Gerber, Huck, Imhof, Jost, Kreuzer, Ochsenbein, Roth, Schneiter und Steiner sind heimatberechtigt. Zwei berühmte Bürger sind Eduard Imhof (1895–1986) und Ulrich Ochsenbein (1811–1890). Eduard Imhof gilt als Initiant und Schöpfer des Kartenwerkes der Eidgenössischen Landestopographie. Ulrich Ochsenbein war im ersten Bundesrat des neu gegründeten Bundesstaates von 1848 vertreten.

Stephan Althaus wertschätzt: «Wir hatten viele mutige Menschen, die vor uns Grosses bewirkt haben.» Davon ist der bis heute vorherrschende Macher-Spirit der Leute in Fahrni geblieben, der in jedem Sinn für Weitsicht sorgt. «Wir haben hier alles, was wir brauchen und sind im Schuss mit einer Top-Infrastruktur», freut sich Althaus. Durch die Gemeinde führt die Kantonsstrasse, und in gut zwanzig Minuten fährt man im Halbstundentakt mit dem STI-Bus von Thun Bahnhof nach Fahrni. Die vielen Gemeindestrassen werden laufend planmässig unterhalten. Der besondere Schatz, die eigene Wasserquelle von hervorragender Qualität, fehlt ebenso wenig! Sie wird im Kaltbrunnen gefasst. An klaren Tagen sieht man zudem von Fahrni aus effektiv sehr weit – bis zum Chasseral und zur Schrattenfluh.

Kirche und Schulhaus
Weil den Gläubigen von Fahrni in den 1950er-Jahren der Weg nach Steffisburg zur Kirche zu weit wurde, beschloss man, Gottesdienst, Hauswirtschaftsunterricht und Gemeindearchiv unter demselben Dach unterzubringen und erstellte auf geschenktem Grund in Frondienst die Kirche. 1951 wurde dieses Gemeinschaftswerk eingeweiht und ist beschaulich gebaut und schön gelegen, eine beliebte Hochzeitskirche geworden. Der jungen Pfarrerin Martina Häsler gebührt eine zentrale Rolle. «Sie versucht, die Leute mit der Kirche zu verbinden und macht viel für Jung und Alt», lobt Stephan Althaus.
Auch der Schulstandort mitsamt Turnhalle und Spielplatz ist den Leuten von Fahrni «heilig». Das 1715 erbaute Schulhaus wurde nach einem Brand zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder so aufgebaut wie es jetzt dasteht, mit vier Klassenzimmern. Dazu kam 1973 eine neue Turnhalle, welche 1998 mit zwei weiteren Klassenzimmern aufgestockt wurde. Spielgruppe, Kindergarten, sowie erste bis sechste Klasse besuchen die Kinder in Rachholtern-Fahrni. Es verkehrt ein Schulbus mit Perimeter-Einzug. Ab der siebten Klasse besuchen die Schülerinnen und Schüler das Oberstufenzentrum in Unterlangenegg. «Aktuell läuft die Sanierung unseres Schulhauses – diesen Sommer stellten wir bereits das Heizsystem von Öl auf Pellets um. 2023/24 optimieren wir die Aussenhülle und bauen neue Fenster ein», berichtet Althaus. Der benötigte Kredit von 1.8 Mio. Franken wurde vom Souverän einhellig und rasch bewilligt.

Einzigartig vielfältig
Das stärkste Gewerbe in Fahrni ist augenfällig die Landwirtschaft. Stephan Althaus unterstreicht: «Viele umtriebige Bauern bieten auf ihren Höfen regionale Produkte und innovative Eigenkreationen in Direkt-Vermarktung an – darunter etwa Ziegenkäse und Ziegenwurst, Käse, Fleisch, Schnaps, Likör, Schoggi, alte, ursprüngliche Kartoffelsorten und allergattig Ruschtig.» Daneben gibt es etliche Einzelunternehmen sowie kleine und mittelgrosse, sowohl Dienstleistende als auch Handwerksbetriebe.

Das Gemeinsame ist das Herzstück
Zweimal wöchentlich essen die Kinder in der Schule am Mittagstisch. Dieser wird von Müttern eigeninitiativ und ehrenamtlich organisiert, wenn die Schüler:innen nachmittags Schule haben. «Man hilft sich selber – kaum ist eine gute Idee da, setzen wir sie zusammen um», bringt es Althaus auf den Punkt. Selbstredend gibt es in Fahrni starke Vereine: etwa den Männerchor mit Unterhaltungsabend, den Samariterverein zusammen mit Buchholterberg und die jungen und «alten» Schützen. Legendär ist die sommerliche Fahrni Chilbi unter freiem Himmel, organisiert von der Musikgesellschaft.
Bis 1985 fand noch der alljährliche Fahrni-Marsch statt – mit Preisen und Zwetschgen-Kuchen. Die Einnahmen gingen an die Gemeinde und leisteten etwa einen Beitrag an den Bau/Sanierung der Gemeindestrassen – «davor waren das Staubstrassen», berichtet Althaus. Der seit fünf Jahren amtierende Gemeindepräsident sagt abschliessend: «Wir sind eine hervorragende Crew und eine gut eingespielte Verwaltung mit engagierten Leuten in den Kommissionen – nur gemeinsam sind wir stark!»
Barbara Marty


Zahlen und Fakten

Gemeinde: 3617 Fahrni
Einwohner:innen: 807
Fläche: 668 ha
Wald: 165 ha
Höchster Punkt: 912 m über Meer
Steuerfuss: 1,78%
www.gemeinde-fahrni.ch


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