«Fast wie ein Zentrum der Welt»

  26.01.2023 Reportagen

Forst-Längenbühl war nicht immer «einhellig»: 2007 fusionierten die Forster:innen und die Längenbühler:innen zu einer Gemeinde. Vom früheren «Röschtigraben» weiss die junge Generation nur noch aus Erzählungen der Älteren. Vom Leben in der langgezogenen, hügeligen und archäologisch bedeutsamen Moränenlandschaft erzählt der Gemeindepräsident Peter Scheurer.

Auf die Frage: Wer hier wohnt, antwortet Peter Scheurer rundheraus: «Wer hier wohnt, hat mehr vom Leben.» Das ist eine starke Ansage. Zumal sie einer macht, der nicht sein ganzes Leben hier verbrachte und also Vergleiche durchaus ins Feld führen kann. Seit Jahresbeginn ist der Möbelschreiner und GL-Mitglied eines Seftiger Möbelbaubetriebs der neue Gemeindepräsident von Forst-Längenbühl. Davor war Scheurer bereits sechs Jahre im Gemeinderat, davon zwei Jahre Vize-Präsident und 13 Jahre in der Baukommission, zuletzt leitete er sie.
Der gebürtige Seeländer und Bergbegeisterte kam Berufes halber in die Gegend. Vor 22 Jahren zog er mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Söhnen von Wattenwil nach Forst-Längenbühl. Der Hergang dieses Zuzugs ist an sich schicksalshaft, und Peter Scheurer erinnert sich: «Auf unseren Spaziergängen durch die Gegend kamen wir oft an der alten «Schmitte» in Forst-Längenbühl vorbei, und da sagte ich jeweils zu meiner Familie: «So ein Haus wünsche ich mir!» Als eben diese Immobilie zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich ausgeschrieben war, beworb sich die Familie und erhielt prompt den Zuschlag – nachdem etliche ihrer vorangegangenen Bestrebungen für andere Objekte nicht zustande kamen.

Peter Scheuer schwärmt von seinem «Heimetli» in Forst-Längenbühl, wo er und seine 765 Bürger:innen ihr «Zentrum der Welt» gefunden haben. Und dies ohne Einkaufsmöglichkeiten, aber mit einem beliebten Landgasthof, genannt Grizzlybär und einer Mühle, die ihresgleichen sucht: In der Dittligmühle gibt es das Bistro «Irma’s Mahlwerk» und etwa Kurse für das Brotbacken. «Erfreulicherweise konnten wir die Schule behalten», fügt Scheurer hinzu. Es gibt sie als Basisstufen-Modell: ab Spielgruppe/Kindergarten bis zur sechsten Klasse. Danach gehen die Kinder nach Wattenwil zur Schule. «Im Moment haben wir sehr grosse Klassen», freut sich der Gemeindepräsident und Familienmensch. Apropos Familiennamen: davon sind die typischsten und wohl am stärksten verbreiteten die Familien Hadorn und Wenger. Die Nachbargemeinden sind Blumenstein, Gurzelen, Thierachern, Uebeschi, Uetendorf und Wattenwil. Ab Thun verkehren die Busse im Halb- und Stundentakt – und bringen Fahrgäste in zirka 30 Minuten in die idyllische Wald- und Hügellandschaft von Forst-Längenbühl – eine typische Streusiedlung im Thuner Westamt.
Als Tor zum Naturpark Gantrisch bietet sich zudem ein reichhaltiges Angebot an Freizeitaktivitäten in der Natur. Ob zu Fuss oder auf dem Velo – die bekannte Herzroute führt direkt durch das Dorf. Zwar sind Käserei und Schmitte längst stillgelegt. Man hat noch eine Milchannahmestelle. Denn man habe zumeist schon lange auf Milchwirtschaft gesetzt mit wenig Ackerbau, sagt Scheuer. Die Zeiten, als noch Zuckerrüben angepflanzt wurden, sind längst vorbei. «Weniger landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaften mehr Fläche, so die Tendenz», resümiert Scheurer. Denn auch Forst-Längenbühl ist ursprünglich bäuerlich und verfügt heute über Unternehmen im Tiefbau – ausserdem sind vom Tonstudio, über Coiffeur, Fahrschule, Gartenbau und Schreinerei bis zur Mechanischen Werkstatt Geschäfte vertreten.

Derzeit gibt es keine grösseren Bauprojekte. Es gelte «gäng e chli öpis z’mache», meint Scheuer mit Hinblick auf die Wasserversorgung, wo momentan alte Leitungen ersetzt würden. Zudem will die Gemeinde Photovoltaikanlagen fördern.

Miteinander aktiv verwurzelt
«Man kennt einander, grüsst sich, bleibt stehen, um zu «dörflen» – es ist sehr ländlich und gemütlich hier bei uns», lobt Scheurer. Dank einem aktiven Vereinsleben und einem initiativen Frauenverein findet immer wieder das ganze Dorf zusammen. Oder man fiebert bei einem Spiel des Eishockeyclubs Längenbühl und schwelgt bei einer musikalischen Darbietung vom Jodlerchörli Bärgarve.
Die Gemeinde Forst-Längenbühl besteht seit dem 1. Januar 2007. Seither sind die beiden Gemeinden Forst und Längenbühl Teil der Geschichte. An den einstigen «Röschtigraben» erinnern sich nur noch die Älteren: etwa daran, wie man «vo de Angere» hüben wie drüben auch abschätzend redete, oder sie schlicht «die vo däne» nannte. Denn einig war man sich nicht immer. Doch spannte man schon vor der Fusion mehr und mehr zusammen und war schliesslich zu hundert Prozent von den Vorteilen des Miteinander überzeugt. Auch heute noch!

Geht man in Forst-Längenbühl geschichtlich weiter zurück, stösst man auf verschiedene, bedeutsame archäologische Funde, zum Teil aus der Eisen- und Latenezeit: Beim Dittligsee stiess man sogar auf Pfähle und einen Einbaum. Eine Besiedlung im heutigen Sinn deutet auf einen alemannischen Ursprung. Vorerst entstanden einzelne Weiler, deren Namen bis heute bestehen. Sie zeugen von den Namen damaliger Bewohner:innen oder der Nutzung der Grundstücke. Als erster Weiler gilt Dittligen, darauf folgt Hattigen, beim Wald, Lengenbühl, Weiermatt, Halten u.a. Weitere Flurnamen wie Chalbermoos, Ochseweid, Wolfrichti lassen Rückschlüsse auf Nutzung und Tierhaltung. Waldweier und Weiermatt weisen darauf hin, dass es einmal noch weitere Gewässer gab. Die damaligen Siedler betrieben Feldwirtschaft und Fischfang. Aus dem Weiler Lengenbühl wurde zirka 1796 die Gemeinde Lengenbühl. Seit 1864 spricht man von Längenbühl.
Mit der Gemeinde-Fusion wurden die beiden Wappen zu einem verbunden. Einige Elemente, kurz erklärt: Die Tannen illustrieren den Namen und die Charakteristik des Landschaftsbildes. Forst bedeutet Bannzaun, Bannwald, bewirtschafteter Wald. Die Lilie stammt aus dem Siegel der Kirche Amsoldingen, zu der Längenbühl bis heute gehört. Im Emblem der einstigen Gemeinde Längenbühl weist der Stern auf die Zugehörigkeit zum Amt Thun hin, und der weisse Hügel erinnert an das alte Landgericht Seftigen.

Veränderung und Wertschätzung
Rund ein Fünftel der Gemeindefläche ist noch heute Wald, wobei ein Grossteil nicht in örtlichen Händen ist. «Damals haben unsere Leute viel Wald zu einem Spottpreis verkauft», erzählt Scheurer. Gemäss ihm haben auch hier der Rendite-Fokus, aber auch der Lothar-Sturm seine Spuren hinterlassen und «die schönen Wälder, die es vor 25 Jahren noch gab, sehen heute anders aus.» Nach wie vor findet er die meiste Erholung im sauerstoffreichen Grün seiner Wahlheimat und wünscht sich häufig etwas mehr Respekt und Sorgfalt von den Waldbesucher:innen.
Was die lokalen Gemüter bewegt: «Es gibt jemand, der unsere Gewässer wieder vergrössert und zum Teil überflutet – das ist der Biber», berichtet Peter Scheurer. Als geschütztes Tier baut es ohne Baubewilligung. Wegen dem Nager wurde der Dittligsee wieder grösser: Der Landschaftsarchitekt profitiert von der Entwässerung durch die Landwirtschaft – er kann unter dem Schilfgürtel durchgraben, und flutet so das angrenzende Land. Zwar verursacht er durch sein freies Bauen Kosten, fördert aber auch die Biodiversität.
«Ich schätze meine Gemeinde, weil wir miteinander reden können», betont er. Die Faust im Sack wird nicht lange gemacht. Und wenn im Gemeinderat unterschiedliche Meinungen sind – «so suchen wir nach einer Lösung, für die wir zusammen einstehen.» Peter Scheuer will für sein Dorf das Beste – und weiterhin einen so guten Zusammenhalt. Zudem gesteht er: «Ich möchte nicht weg von hier.» Fast versteht man nun die Forst-Längenbühl-zentrierte Weltkarte. Oder etwa nicht?
Barbara Marty


Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3636 Forst-Längenbühl
Einwohner: 766
Fläche: 450 ha
Wald: 90 ha
Höchster Punkt: 753 m ü. Meer – Riedhubel
Steuerfuss: 1.70%
www.forst-laengenbuehl.ch

 


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