Fleisch ohne Lebendtiertransport – gefragt?

  12.01.2023 Reportagen

Seit Juli 2020 ist in der Schweiz die Hof- oder Weidetötung erlaubt. Bei Fleisch-Direktvermarktern setzt sich vor allem die Hoftötung durch. Derzeit gilt es aber noch eine grosse gesetzliche Hürde zu überwinden. Eine Darlegung der Fakten.

Fest steht: Transport bedeutet für die Hoftiere in jedem Fall Stress. Dieser ist aber für die meisten sogenannten Nutztiere unumgänglich, wenn es für sie in den Schlachtbetrieb geht. Häufig werden sie dazu erstmals von der Herde und von der Mutter getrennt. Ihre Ausschüttung des Stresshormons Cortisol nimmt zudem während den oft gängigen Wartezeiten beim Schlachthaus noch zu. Natürlich werden die pH-Werte im Muskel des Fleisches nach dem Schlachten gemessen. Es gelten auch dafür gesetzliche Richtlinien. Doch bleibt unumstritten: Fleisch-Konsument:innen bekommen vom allfälligen Stress der Tiere etwas ab, und die Fleischqualität wird gemindert.
«Nach wie vor werden Tiere vom Unterengadin bis nach Oensingen gekarrt», hält Eric Meili fest. Er ist selber Rindfleischproduzent und landwirtschaftlicher Berater, wohnhaft im Zürcher Oberland. Seit über 35 Jahren ist er Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Seine Arbeitsgebiete sind u.a. Tierhaltungs-Projekte und Beratungen in der Schweiz und international. Der 69-Jährige vermarktet das Fleisch seiner Weiderinder direkt. Seine Mission gilt dem «Fleisch ohne Lebendtiertransport». Seit über zehn Jahren ist er dafür unterwegs. Dass in der Schweiz die Hof- und Weidetötung seit Juli 2020 erlaubt ist, ist massgeblich ihm und seinen Mitspielern zu verdanken. Der Erfolg auf Gesetzesebene und ein gewachsenes Bewusstsein der Fleisch-Nachfragenden geben ihm recht. «Bio-Fleisch hat es früher schliesslich auch noch nicht gegeben», bemerkt er als Vergleich. Heute liegt in der Schweiz der Bioanteil von Frischfleisch vom Rind bei rund zehn Prozent.

Hof- und Weidetötung
Für die Hof- oder Weidetötung zur Fleischgewinnung braucht es eine Bewilligung, die das kantonale Veterinäramt den gesuchstellenden Landwirt:innen erteilt. Im Kanton Bern sind laut BLV 19 Betriebe definitiv und 31 provisorisch bewilligt, im Verwaltungskreis Thun: 3 definitiv und 1 provisorisch – schweizweit: über 100. Die Mehrheit der Gesuche betrifft die Hoftötung von Rindern. Bei der Hoftötung geschieht die Betäubung mittels Bolzenschuss. Bei der Weidetötung wird das Tier mit einem Gewehr geschossen. Danach folgen stets der Bruststich und das Entbluten. Bei beiden Varianten handelt es sich um einen vorgelagerten Teil des Schlachtprozesses auf dem Herkunftsbetrieb. Beim Prozess stets zugegen sind: Metzger/Landwirt und Veterinär, der das Tier vor der Tötung begutachten muss und zur Fleischgewinnung freigibt.

Zeit als grosse Herausforderung
Laut den strengen Bestimmungen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) gelten diese Zeitvorgaben: «Das fachgerechte Ausweiden der Schlachttiere muss spätestens 45 Minuten nach dem Entbluten stattfinden.» Somit beträgt die effektiv mögliche Fahrzeit mit dem toten Tier zum Schlachtbetrieb nur 20 Minuten. Denn für das Entbluten und Laden müssen zirka 10 Minuten gerechnet werden, für die Entnahme der Eingeweide zirka weitere 15 Minuten. Hat man in dieser Distanzzeit kein Schlachthaus, so ist die Hoftötung in gänzlicher Eigenregie nicht möglich.
«Unsere dahingehende Gesetzesänderung sieht 90 Minuten vor», beschreibt Meili das Bestreben. Womit man derzeit in der Vernehmlassung steht. «In der Europäischen Union beträgt diese gesetzliche Vorgabe sogar 120 Minuten», informiert Eric Meili. Wenn ihm die Sache ein weiteres Mal gelingt, würde die Hoftötung für mehr Landwirt:innen – auch in abgelegenen Gegenden – möglich.

Wie hoch ist die Investition?
Heute gilt: Gibt es ein Schlachthaus in zirka 25 Minuten Fahrtdistanz zum Herkunftsbetrieb, ist die Hoftötung grundsätzlich möglich. Für die Landwirt:innen bedingt es dazu diese Aufwände: 1500 Franken kostet die Erstbewilligung, 1200 Franken das Fressgitter, in welchem das Tier fixiert werden muss für die Betäubung durch den Bolzenschuss. Dazu kommen die Kosten für Metzger und Veterinär, sowie für den Transport-Anhänger, den es in verschiedenen Ausführungen gibt. «Die Hoftötung verursacht im Vergleich zur konventionellen Schlachtung Mehrkosten von 250 – 300 Franken pro Mal», resümiert Meili. Er schlägt die Kosten auf den Fleischpreis. Schliesslich kann er hinter dieser Form von Tiertötung – ohne Lebendtiertransport – zu 100 Prozent stehen. Für die meisten Landwirt:innen endet aber die Tierhaltung beim Aufladen für die Fahrt zum Schlachthaus. Obschon das Töten auf dem Hof (noch) eine Nische ist, steigt aber die Zahl der Gesuchstellenden.

Nachfrage bestimmt Angebot
Eric Meili hat für interessierte Landwirt:innen schon viele Beratungen auch im Kanton Bern abgehalten. Es sind hauptsächlich Selbstvermarkter von Fleisch, die sich vor allem für die Hoftötung (98%) erwärmen. «Es macht für sie Sinn, sich untereinander zu vernetzen», rät er. Für die Kehrtwende steht fest: Die grundsätzliche Stimmungsänderung dazu entsteht in der Bevölkerung. Eric Meili wirft abschliessend ins Feld: «Wirklichen Tierschutz können wir nur mit den Grossverteilern erreichen!» Wenn also Fleisch-Konsument:innen Fleisch ohne Lebendtiertransport nachfragen, hat dies Einfluss auf das Angebot.
Barbara Marty


Zahlen und Fakten – Schweiz 2021

Geschlachtete Nutztiere: 83 Millionen

Pro Monat: fast 7 Millionen (ohne Fische/Krustentiere)

Anzahl Schlachtbetriebe: 600

Fleischkonsum pro Kopf: 51.82 kg

Rindfleisch: 11.56 kg

Schweinefleisch: 21.22 kg

Geflügelfleisch: 14.78 kg

Import: 98’374 Tonnen

Fleischdirektvermarkter: zirka 1511

Rindfleisch-Direktvermarkter: zirka 733

Rindfleisch, gehackt: 17–19 Fr./kg (Richtpreis)

Bio Rindfleisch/Weidehaltung, gehackt: 25 Fr./kg (ohne Lebendtiertransport)

Quellen: Agrarbericht, Schweizer Bauernverband


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