Über dem Berg scheint die Sonne
23.02.2023 ReportagenHeiligenschwendi ist weltweit als Luftkurort bekannt. Das Kleinod liegt auf rund 1000 Meter über Meer mit fabelhafter Sicht auf den Thunersee und die Berge. Doch nicht nur gute Luft, Aussicht und mildes Klima zeichnen den Flecken aus. Der einheimische Gemeindepräsident Christian Zwahlen schaut mit uns auf sein «Land».
Vorneweg eine mögliche Erklärung, wie Heiligenschwendi zu seinem Ortsnamen kam: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten im heutigen Heiligenschwendi zwei Burgergemeinden das Sagen. Die im unteren Teil der Gemeinde versuchten sich im Mittelalter das Seelenheil zu erkaufen, indem sie dem Kloster Interlaken ihren Bruucherenwald schenkten. Sie durften ab da den Titel «Heiligen» vor den Ortsnamen Schwendi setzen. Das waldreiche Gebiet wurde um 1000 n. Chr. durch «schwenden/schwenten», also durch Rodungen spärlich besiedelt. Es gehörte der Freiherrschaft Oberhofen, wurde zähringisch und fiel nach 1218 an die Grafen von Kyburg. 1285 wurde «Helgeswendi» erstmals urkundlich erwähnt. 1384 übernahm Bern die Macht und verwaltete das Gebiet im Rahmen des äusseren Amtes der Landvogtei Thun und des Freigerichts Steffisburg.
1895 wurde in Schwendi auf 1100 Meter über Meer die erste bernische Heilstätte für Tuberkulosekranke eröffnet. Diese trug viel zur Entwicklung der Gemeinde bei. Der Name Heiligenschwendi wurde in die ganze Welt hinausgetragen. In der heutigen allgemeinen Höhenklinik arbeiten 472 Angestellte. Im besonderen Höhenkurort finden alle Ruhe und Erholung mit sagenhaften Aussichten. So auch die gängigen Burger-Familien mit Namen: Zysset, Reusser, Neuhaus, Küng und Graf. Der Berühmteste ist Thomas Hansueli Zurbuchen. Er wuchs hier auf und besuchte später das Gymnasium in Thun. «Als Astrophysiker ist er heute Direktor der NASA und lebt mit seiner Familie in Washington», informiert Christian Zwahlen, Gemeindepräsident. Zwahlen ist in seinem elften Jahr im Präsidium. Der Bauleiter in einem Berner Architekturbüro war davor zwölf Jahre als Vize-Gemeindepräsident engagiert. Er liebt den Ort, wo er in Trachtwegen im elterlichen Haus lebt: «Ich sehe Eiger, Mönch, Jungfrau und See in ihrer ganzen Pracht – und habe Niesen, Stockhorn, Jungfrau und Blümlisalp im Blickfeld», schwärmt der Bergmensch. «Beim Muurerschürli gibt es die schönste Sicht auf die Stadt», verrät er.
Heilig und heilend gehören zusammen
Orte der Heilung sind stets Orte des Heils und Orte der Heiligkeit. Das Wort «Heil» stammt vom Germanischen «haila» und heisst: «günstiges Vorzeichen, Glück, Gesundheit». Heilig bedeutet vollkommen, ganz und göttlich – heilend lässt es so werden. Das Gemeindewappen nimmt Bezug darauf. Es entstand 1934 und im Bernischen Wappenbuch steht darüber: «In Blau auf einem goldenen Dreiberg eine gebildete goldene Sonne. Die Sonne über dem Dreiberg versinnbildlicht die heilkräftige Lage des Ortes.» Die Sonne symbolisiert zudem die Top-Wetterlage. Besonders im Herbst und im Winter geniesst man hier oben wärmende und beglückende Sonnenstrahlen, während in den Tälern der Nebel um die Häuser schleicht. Apropos, Häuser: Die ältesten Bauernhäuser stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Die Streusiedlung mit ihrer unbezahlbaren Lage, inmitten der Oberländer Bergwelt, grenzt an die sechs Nachbargemeinden: Oberhofen, Hilterfingen, Homberg, Teuffenthal, Sigriswil und Thun. Es gibt die Ortsteile Dörfli, Halten und Schwendi, sowie Trachtwegen, Eichholz und der Ortsteil beim Schulhaus. Die Busse verkehren ab Thun stündlich auf den Berg und nach Goldiwil im Halbstundentakt. In einer Viertelstunde erreicht man im Auto den nächsten Autobahnanschluss und in zehn Minuten Thun. Insgesamt gibt es drei Hofläden, ein Hotel-Restaurant, ein Bistro, sowie eine Poststelle in der Gemeindeverwaltung.
Gemeinschaftlich belebt
Den 1. August feiert «tout» Heiligenschwendi beim Tennisplatz. Im letzten Jahr Ende August fand ein rauschendes Dorffest, organsiert durch «Schwändi (be)läbt» statt. «Es war ein grosser Erfolg, fast wie eine Klassenzusammenkunft», erinnert sich Zwahlen gerne. Von weit her kamen da die Leute, um das Dorfleben und die Geselligkeit zu feiern. Ein Publikumsmagnet ist jeweils auch der örtliche Weihnachtsweg: «Er ist sehr bekannt und beruht auf Freiwilligenarbeit, in Koordination mit dem Tourismusverein.» Der Weg führt rund um den Winterberg und startet beim Tennisplatz – mit Stationen und Geschichten, stimmungsvoll beleuchtet durch den Wald. Übrigens: In Heiligenschwendi ist die Hälfte der Fläche bewaldet. Man liebt den Wald und achtet ihn. Hier wirft der Gemeindepräsident ein: «Vor allem bei der Auslegung der Gemeinde-Bauvorschriften ist die Einmischung von Ämtern in die Gemeindehoheit unerträglich und oft ohne Augenmass.»
Die Leute, die hier «wohne u wärche», so Zwahlen: «das sind die Landwirte.» Der Gemeindepräsident kennt «seine» Bauern alle beim Namen – es sind 13 landwirtschaftliche Betriebe. Er betont dankbar die bäuerliche Prägung. Charakteristisch ist zudem: «dass man einander kennt und einen guten Zusammenhalt pflegt, etwa im Schützenverein, im Skiclub, Frauenverein, Musikverein, in der Trychler-Gruppe oder im Tourismusverein.» Zudem leisten viele Freiwilligenarbeit. Am Helfer-Höck gibt es für sie dann im Herbst ein Zvieri.
Verantwortungsvoll und selbstbestimmt
Es läuft die Ortsplanungsrevision. Zwar ist das Ortsbild baulich recht offen und ungebunden, doch: «ohne bauliches Entwicklungspotential», weiss Zwahlen. «Wir haben kein Bauland mehr, die Siedlungsentwicklung geht nach Innen.» Die Bautätigkeit konzentriert sich auf Renovationen und Umbauten. Mit zwei jüngeren Überbauungen hat man Familien mit Kindern angezogen: am Sonnenweg und am Niesenweg. «In der Halten findet zudem derzeit eine Verjüngung statt.»
Die Mitarbeitenden im REHA-Zentrum kommen in der Regel von auswärts. Die Menschen, die hier wohnen, arbeiten zumeist in Thun oder Bern. Die Kinder können im Ort die Basisstufe bis zur 6. Klasse besuchen. Für die Oberstufe gehen sie dann nach Hünibach. Zwahlen freut sich über 70 Schulpflichtige.
Gewerbetreibende hat es nicht so viele. «Wir haben zum Beispiel eine Malerei, einen Schmied, der auch noch Pferde beschlägt, eine Met-Siederei für Honigwein und einen 90-jährigen Schlittenbauer und Wagner.» Ganz besonders dankbar ist man um die hiesigen Energien von BKW-Strom und Wasser: «Unser Wasser ist wunderbares Quellwasser vom Hohgant, wir fassen es auf den Mösern zu unserer Wasserversorgung.»
Glücklicherweise hat man es verstanden, die rasante Entwicklung mit einem gut erhaltenen Ortsbild, einer intakten Landschaft und einem gesunden Gewerbe in geordneten Bahnen zu halten. Das Dorf soll auch weiterhin als Wohn-, Arbeits- und Tourismusort attraktiv bleiben. Zwahlen resümiert die Vision so: «eigenständig, lebenswert und wertvoll bleiben.» Dabei spielt die Selbstbestimmung eine grosse Rolle: «Wir wollen uns selber in die Finger nehmen, und nicht in die Finger genommen werden!»
Barbara Marty
Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3625 Heiligenschwendi
Einwohner: 739
Fläche: 555 ha
Wald: 220 ha
Höchster Punkt: 1396 m ü. M.
Steuerfuss: 1.89
www.heiligenschwendi.ch