Im Meer verwurzelt – am See daheim

  30.03.2023 Reportagen

Als Gastarbeiter kam er aus Italiens Stiefelabsatz auf die Baustelle nach Thun für ein, zwei Saisons. Die 1400 Kilometer nach Tricase in Apulien legte er mehrmals zurück, um dann hier zu bleiben. In diesem Jahr feiert Roberto Brigante 20 Jahre Bühnenpräsenz, 40 Jahre Thun und 60 Jahre pures Leben. Ein Gespräch mit dem Musiker, Sänger und Liedermacher über seine «Vita» und die Musik.

Als 10-Jähriger verkaufte er in seinem Geburtsort im Apulischen Tricase frühmorgens Tomaten. Zumeist hatte er sie alle «subito» an die Frau gebracht. Sein sonniges Gemüt half ihm dabei, und häufig trällerte Roberto Brigante auch ein lustiges Lied, wenn er von Tür zu Tür ging. Sein Job als Marktverkäufer ergab ein Zubrot für seine Grossfamilie, wo jeder und jede irgendwie mithalf. Roberto hat eine Schwester und fünf Brüder. Nach dem Tomaten-Verkauf drückte er jeweils die Schulbank. «Hier hat mein Herz weniger gelacht, ich war ein Minimalist – heute würde ich mehr lernen», erinnert sich Roberto schmunzelnd. Wir sitzen bei Espresso und Cappuccino in der Quartierbeiz. Roberto, wie immer nicht ohne sein Markenzeichen, die Schiebermütze. Das Gespräch nimmt einen lockeren Verlauf und wechselt angeregt von einem Thema zum nächsten: «Als ich in die Schweiz kam, kostete der Espresso einen Franken und achtzig Rappen.»

Wie war das nochmals mit den Tomaten? Worauf Roberto augenzwinkernd erwidert: «Die habe ich ganz schnell verkauft, und nach der Schule hatten wir zwar einen schönen Strand und das türkisfarbene Meer zu unseren Füssen. Aber eben war da auch fast keine Arbeit und daher: wenig Geld.» So kam er mit knapp 20 Jahren wie viele seiner Landsleute aus Apulien direkt auf die Grossbaustelle nach Thun, um für gutes Geld zu schuften. Im Radio wurden derweil 1983 etwa die Nummer-eins-Hits «Do you really want to hurt me» oder «Vamos a la playa» gespielt. Und natürlich: «Billy Jean». Wer erinnert sich? Genau zu jener Zeit betrat also der junge Roberto Brigante schon früh am Morgen, fast zu gut gelaunt, die Baubaracke und gab den ganzen Tag zwei Lieder zum Besten: «Marina» und «la Coppula». «Ich wollte damals schon alle aufmuntern und Freude versprühen», erklärt er. Doch mit nur zwei Liedern im Handgepäck war es mit der Freude nicht von langer Dauer, zumindest nicht bei allen seinen Arbeitskollegen. Es sollte sich ändern!

In jener Zeit ereignete sich in Roberto’s Leben vieles gefühlt gleichzeitig: «Am Anfang wollte ich nur für ein, zwei Saisons herkommen, doch ich bin immer noch da und seither sind 40 Jahre vergangen – es ist unglaublich!» Roberto ist Vater von drei erwachsenen Kindern, die alle musikbegabt sind, wie könnte es anders sein. Und er baute sein eigenes Geschäft als Plattenleger auf. Seit 2015 hat er den Schweizer Pass. Beim Erinnern kommt Roberto ein weiterer Schlüsselmoment in den Sinn: «Ich entdeckte das Gitarrenspiel und brachte es mir selber bei.» Langsam entstanden mehr und mehr Lieder in seinem Repertoire und Roberto übte und übte. Schon lange war er vom Musikmachen total begeistert. Aber auch von der Gegend: «Ich bin so wohl da und will nie mehr weg von hier. Thun ist schön: die Aare, der Thunersee, die Berge, das alles hat mir von Anfang an sehr gefallen! Zudem habe ich hier viele tolle Leute und Freunde kennengelernt.» Roberto geht gerne am Wasser spazieren und misst dabei täglich seine Anzahl Schritte. Schliesslich ist er ein Genussmensch und isst ganz gerne: «Am liebsten mag ich Berner Platte – unbedingt mit Senf – oder Penne Bolognese.»

Die Bretter, die die Welt bedeuten
Und wie ging es weiter mit der Musik? Darüber kommt Roberto erneut ins Schwärmen und erzählt: «Als ich mich bereit fühlte, habe ich mir gedacht, ich könnte ein Lied aufnehmen. Gedacht, getan: «Das Lied, es hiess: «Il passato» habe ich dann meinen engsten Vertrauten vorgespielt, und der Song kam nicht schlecht an.» Bald darauf folgte sein erster Auftritt, wo er an einem privaten Anlass in Bern solo auftrat. Der Applaus und die «Emozioni» im Publikum spornten ihn an, und ab da spielte er seine Musik auch öffentlich. Er umschreibt es so: «Die Freude und das Gefühl der Leute, also das was ich von ihnen wahrnehme, diese Interaktion zwischen uns – daraus entsteht immer etwas Neues, eine dritte Kraft sozusagen. Ich gebe dabei immer das, was ich kann und fühle mich dabei genau gleich wie die Menschen im Publikum. Denn: Ich will Nähe aufbauen und das gefällt mir. Ich habe die besten Fans der Welt! Auch meine Familie hat mich immer unterstützt; da hatte ich grosses Glück.»

Rückblickend auf 20 Jahre Bühnenpräsenz erlebte Roberto viele Erfolge: «Meine Begeisterung ist dabei immer die gleiche geblieben – ob ich für eine Handvoll Leute im Wohnzimmer, im Altersheim oder auf dem Rathausplatz am Thunfest spiele!» Zu den ganz grossen Bühnenmomenten gehören für ihn sicher: sein Auftritt 2015 an der Festa della Madonna delle Grazie, wo er in Tricase vor 5000 Menschen auftrat: «Das war schon sehr speziell.» Oder sein Gig als Vorband von Albano e Romina Power im Kongresshaus in Biel im November 2021. Wie auch 2018, als er auf dem Hudson River in New York auf einer Yacht anlässlich einer grossen, privaten Feier «abrockte.» Nicht zu vergessen all die Geburtstage, Hochzeiten, Firmenjubiläen, an denen er in der ganzen Schweiz schon gebucht wurde. So kamen 600 Konzerte zusammen.

In Richtung 60 – «Direzione 60»
Heute wie gestern schreibt er alle Lieder selber. Mittlerweile sind es 11 Studio-Alben, 110 «Canzoni» –Roberto singt «sempre» auf Italienisch über die Liebe, die Sonne, das Meer und den Wind, wie auch über die kleinen Dinge im Leben mit einer guten Prise italienischer Alltagspoesie. Gerade so wie es sich für einen Cantautore gebührt. Mit seiner EP «La Verità» schaffte es Roberto 2020 direkt auf den 3. Platz der Schweizer Album-Hitparade. Ein Jahr darauf singt er mit seiner Tochter Debora das Duett «Io e te» live im SRF Donnschtig-Jass. In seinem jüngsten Hit, einer Hymne auf seine alte Heimat, singt er über «Salento» und kommt damit unter die Top 20 von SRF 1. «Von der Musik zu leben, war für mich dennoch keine Option. Stattdessen bin ich in meiner Firma sowohl als «Plättlileger», als auch als Musiker angestellt. Mein harter «Gring» hat mir stets geholfen. Ich möchte niemals aufhören, Musik zu machen.»

Übrigens: Am Sonntag, 30. April, ab 14 Uhr, will er mit ganz Thun die Musik und das Leben feiern, in der Alten Reithalle. Vor ihm und seiner Band spielen: Pippo Pollina und George. – Roberto Brigante ist und bleibt Roberto Brigante. Daher passiert es ihm, dass er sich im Spiegel anschaut und noch heute auch den Tomaten verkaufenden Jungen von damals sieht.

Barbara Marty

www.brigante.ch

 


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