Fast wie «das kleine gallische Dorf»

  11.05.2023 Reportagen

Nebst auf die Traumlage - direkt am Thunersee mit dem Niesen frontal im Blickfeld - ist man in Oberhofen stolz, einen hohen Grad an Autonomie zu pflegen. Im Gespräch mit Gemeindepräsident Philippe Tobler über die Eigenregie, das Engagement und den Eigensinn.

Autonomie erhält in heutiger Zeit einen neuen Stellenwert und gewinnt so an Bedeutung. Daher sollten den Titel dieses Beitrags alle verstehen, wie er gemeint ist: Mit Humor und Respekt den Oberhofner:innen gegenüber. Denn es bedingt auch Mut, zuweilen allein auf weiter Flur zu stehen. Der Vergleich mit dem kleinen gallischen Dorf aus den Geschichten von Asterix und Obelix stammt zudem aus internen Reihen: Gemeindepräsident Philippe Tobler prägte ihn. Er ist seit 2018 im Amt als Oberhaupt dieses «Dorfes der Unbeugsamen» am Thunersee.

Umschreibt Tobler die Besonderheiten seiner Gemeinde, sagt er: «Wir befinden uns zwischen Sigriswil und Thun, gehören aber weder zu den einen noch zu den anderen. Wir sind eigenständig und alteingesessen – Oberhofen ist wie eben jenes kleine gallische Dorf sehr stolz darüber, sich selbst zu sein.» Diese typische Eigenständigkeit wird eifrig hochgehalten und nötigenfalls vehement verteidigt. An Gemeindeversammlungen ist die eingefleischte Haltung dann auch manchmal problematisch. «Insbesondere bei Gebietsübergreifenden Traktanden», bemerkt der Gemeindepräsident. In Oberhofen hat es schliesslich alles, was es zum Dorfleben braucht. Neben Restaurants gibt es: Einkaufsmöglichkeiten und eine Käserei und eine Metzgerei. Zudem: See, Schloss, Museum und Freizeitpark mit Hallenbad, Fitness und Minigolf.

In keinem Fall stösst sich das Auge an einer Basisstation für den Mobilfunk, Natelantenne genannt: Auf Oberhofner Gemeindeboden gibt es das nicht. Dies, obschon hier wie anderswo, alle mit «so einem Kästli in der Hose oder Handtasche herumlaufen», erzählt Tobler und fügt bei: «Versuche, eine solche zu stellen, sind bis anhin an der entschlossenen Haltung der Oberhofner:innen glücklicherweise gescheitert.» Die typische Oberhofnerin, der typische Oberhofner beschreibt Tobler so: «Eigensinnig, eigenständig, sehr auf Autonomie bedacht, stolz auf das Dorf: mit Schloss und historischen Bauten wie etwa Klösterli und Wichterheergut, obendrein in wunderbarer Landschaft und mit unverkennbar dörflichem Charakter.» Im Jahr 2018 zeichnete die Schweizer Illustrierte den Ort als das schönste Dorf der Schweiz aus.

Mehr Engagement für die Politik
Der Gemeindepräsident betont zwar die hohe Bereitschaft in seiner Gemeinde zu ehrenamtlicher Arbeit, wo Freiwillige etwa den Mahlzeitendienst in der Gemeinde massgebend stemmen. Zumeist erledigen solche Arbeiten Rentner:innen. Tobler bedauert aber: «Derartige Engagements gehen mehr und mehr verloren; wie auch die Bereitschaft zur Mitarbeit in Kommissionen und Vereinen.» In Oberhofen wie anderswo wünscht sich der Gemeindepräsident seitens der Bürger:innen: «mehr Interesse und aktive Teilnahme an der Gemeindepolitik, statt vom Spielrand her die Geschehnisse und Entscheide, nicht immer Lösungsorientiert, zu kommentieren.» Er selbst bevorzugt das aktive Mitgestalten der politischen Agenda. Hauptberuflich bekleidet er eine leitende Position in der Verwaltung der Schweizer Armee.

Philippe Tobler ist mit Leib und Seele für die Gemeindeanliegen unterwegs und erlebt dabei immer wieder erheiternde und schöne Momente. Oft sind es Rückmeldungen auf seine Artikel und Kolumnen in der Dorfzeitung «der Oberhofner» oder Reaktionen nach einer Gemeindeversammlung, die ihn erreichen und berühren. Als Gemeindepräsident ist man sehr nah am Leben und erlebt sowohl die Freuden als auch die Leiden seiner Bürger:innen. Sie heissen hiesig übrigens häufig: Zumbach, Frutiger und Ritschard. Die arbeitende Wohnbevölkerung richtet sich zumeist nach Thun oder Bern aus. Eine Handvoll Gewerbetreibende wirken im Ort.

«Ä Gmeind mit Läbe»
In vergangener Zeit existierte eine Bäuertgemeinde, die sich aus Landwirten und Rebbauern zusammensetzte. Noch heute ist der Rebbau im örtlichen Rebberg ein gewichtiges Wahrzeichen der Gemeinde, die ihre Tradition rege kultiviert. Das Gemeindewappen zeugt vom Oberhofner Rebensaft. Apropos, Saft: Die Energie kauft und vermarktet man im Ort ebenfalls grad lieber in Eigenregie als Gemeindeunternehmen Energie Oberhofen AG. «Auf der Riderbachhalle produzieren wir zudem eigenen Solarstrom und bald dann auch auf unserem neuen Schulhaus», verkündet Tobler. Die Gemeinde ist seit 2020 im Schulverband Hilterfingen organisiert. Diesem gehören auch Hilterfingen, Oberhofen und Heiligenschwendi an.

«Zurzeit bauen wir mit dem Schulverband ein neues Schulhaus und modernisieren die Schulanlage Friedbühl; danach wird diese Anlage am rechten Thunersee die modernste sein», informiert Tobler. Zu weiteren Bauprojekten zählen das Wasserreservoir Burghalden, versorgt aus der Goldbachquelle, mit Turbine versehen zur nachhaltigen Stromproduktion. Damit erreicht man auch wassertechnisch grösstmögliche Souveränität. Zudem wird allenthalben hitzig diskutiert: die Überbauung Barell-Gut. Diese Überbauungsordnung wurde 1994 von den Bürger:innen genehmigt und voraussichtlich erfolgt demnächst die Baueingabe.

Philippe Tobler wünscht sich in Zukunft eine ausgewogene Altersstruktur. Damit dies geschieht, ist ihm nach ein Paradigmenwechsel nötig. Dieser hat aber noch nicht stattgefunden. So präsentiert sich Oberhofen überalternd. «Auch bei uns ist Wohnraum rar und Mietwohnungen hat es erst recht nicht viele, wenn überhaupt!», resümiert Philippe Tobler.

An seinem Lieblingsplatz im Schlosspark lässt er den Gordischen Knoten wieder los und sein Blick schweift in die Weite. Der gebürtige Thuner und Oberhofner seit 2011 wandert zudem gerne im Justistal – etwa bis zur Alp Oberhofner Berg, wo die Gemeinde einem ihrer beiden verbleibenden Landwirte das Land verpachtet. «Hier kann ich die Ruhe geniessen, die Tiere beobachten und die Wolken über den Sieben Hengsten ziehen lassen – wenn möglich, bin ich zu jeder Jahreszeit einmal hier und tanke Kraft!»

Barbara Marty


Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3653 Oberhofen
Einwohner: 2’508
Fläche: 272 ha
Wald: 134 ha
Höchster Punkt: 1052 m ü. Meer
Steuerfuss: 1.59
www.oberhofen.ch


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