Die andere Welt am Fuss des Stockhorns

  01.06.2023 Reportagen

Im unteren Stockental liegt diese idyllische Streusiedlung fast wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Pohlern gehört zu den kleinsten Gemeinden im Verwaltungskreis Thun. Die Wohnoase verfügt über einen ÖV-Anschluss bis 20.30 Uhr – ohne Kirche, Industrie und Einkaufsmöglichkeiten, dafür mit Landwirtschaft, historischen Häusern und einem weitherum bekannten Ausflugsort.

Im Kern der kleinen Streusiedlung am nördlichen Fuss des Stockhorns steht keine Kirche, sondern das Schulhaus. Die Pohler:innen besuchen die Kirche im benachbarten Blumenstein. Seit 2019 ist die Schule als solche «geschlossen». Stattdessen wurde die Örtlichkeit in den letzten Jahren für die Allgemeinheit geöffnet: Es gibt nun einen mietbaren, frisch sanierten Eventraum und einen Spielplatz mit Holzhäuschen, Spielsachen und Raum zum Herumtoben. Am Dienstag, Donnerstag und Freitag öffnet zudem das «Kafi mit Härz» tags hindurch stundenweise seine Tür zu einem Begegnungsort, der von örtlichen Betreiber:innen geführt wird. Daneben beherbergt das Schulhaus in zwei umgenutzten, ehemaligen Klassenzimmern Gesundheitsangebote von selbstständigen Unternehmerinnen. Die Kinder aus Pohlern besuchen Kindergarten und Primarschule derweil in Blumenstein und das Oberstufenzentrum in Wattenwil. Baulandreserven gibt es keine mehr, die Ortsplanungsrevision ist abgeschlossen. Es liegt auf der Hand: «In Pohlern sind sowohl die Einwohner- als auch die Schülerzahlen seit Jahren stagnierend», sagt der seit Januar 2023 amtierende Gemeindepräsident Thomas Krebs. Er wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern nun fast sieben Jahre im Ortsteil Niedermatt und ist begeistert von Pohlern. Daher engagiert er sich leidenschaftlich für die Gemeinde, wo er 2019 in den Gemeinderat gewählt wurde. «Ich wusste, auf Verwaltungsebene und im Gemeinderat sind wir sehr gut aufgestellt, mit gesunden Finanzen – so bin ich motiviert, als Gemeindepräsident den Ort für die Bürger:innen weiterhin zukunftsfähig, attraktiv und umsichtig mitzugestalten», bringt Thomas Krebs seinen Antrieb auf den Punkt. Zudem habe er als Bürger und Unternehmer jahrelang vom Milizsystem profitiert; nun wolle er etwas zurückgeben, sagt der gelernte Maler und Geschäftsführer von zwei Betrieben in Thun und Bern.

Aussen wie innen: Idylle
«Wenn ich abends von Thun her die Steghalte hochfahre, tauche ich in eine wunderschöne Welt ein», schwärmt Krebs. Die Region bietet ein vielfältiges Naherholungsgebiet mit Möglichkeiten für Wanderungen und Ausflüge. Ob zu Fuss oder mit dem Velo, etwa an einen seiner Lieblingsorte: «auf die Möntschelealp, von wo man eine traumhafte Aussicht geniesst», lobt er. Seine Gemeinde umschreibt er so: «sehr ruhig, angenehm, parat, in landwirtschaftlicher Zone und offen.» Diese Idylle ist ansteckend. Die Pohler:innen sind ebenfalls sehr ruhige, eher zurückhaltende Menschen, die bedacht in ihrer Welt leben. Jedoch: «Wenn es darauf ankommt, stehen alle zu ihrem Dorf – es sind sehr angenehme Bürger:innen», betont Krebs. So war bei der Diskussion zur Fusion mit Forst-Längenbühl und der Gemeinde Wattenwil der Saal rappelvoll und alle Anwesenden waren sich einig darüber, weiterhin eigenständig zu bleiben. Übrigens, in Pohlern sind die Familiennamen: Schwendimann, Rufener und Wenger äusserst geläufig.

Geprägt von Wald und Berg
Die Ortsbezeichnung Pohlern ist alt und hat gemäss den Urkunden der Gemeinde im Laufe der Zeit oft gewechselt. Offensichtlich wurde der Ort erstmals im Jahr 1389 erwähnt und zwar als «in der Polleren», was auf einen alten Flurnamen hindeuten könnte. Einem weiteren Dokument entspringt aus dem Jahr 1548 der Name «Boleren». Später: «Poleren», «Pollera» und «Pollern» – bis zum heutigen Pohlern. Die romanische Herkunft des Begriffs ist bestätigt und wurzelt in «bullaria», was so viel bedeutet wie: Die Gegend mit den vielen, kleinen Hügeln. Das Wappen entstand um 1912. Es zeigt in Silber auf einem schwarzen Dreiberg eine grüne Tanne mit rotem Stamm und roten Wurzeln. Tanne und Dreiberg stehen symbolisch für den Wald und den Berg. Ebenso prägt die Landwirtschaft das Ortsbild: Zehn aktive landwirtschaftliche Betriebe zeugen aktuell davon.

Mit Blick in die Zukunft
Ganz klar, Thomas Krebs hat für seine Gemeinde ein Ziel: «Ich möchte, dass die Leute, die hier wohnen, bleiben.» Er zieht einen weiteren Trumpf für Pohlern aus dem Ärmel: «Wir sind und bleiben ein begehrter Rückzugsort, eine Oase der Ruhe, wenn rundum vielleicht alles dann einmal verbaut sein wird.» Und schliesslich ist man im Auto in 15 Minuten in Thun; per Bus in 30 Minuten. Und dass die Sonne hier im Winter gar nicht scheine, sei schlicht nicht wahr, klärt er auf.
In den letzten Jahren hat man vieles auf Vordermann gebracht und saniert: so etwa grosse Teile des Gemeindestrassennetzes und zusammen mit dem Kanton eine erste Etappe der Kantonsstrasse, die als Hauptstrasse durch den Ort führt. «Die nächsten Projekte widmen sich dem Hangwasser und voraussichtlich den zu sanierenden Wasserleitungen», informiert der Gemeindepräsident und weist auf die Gemeindeversammlung am 2. Juni hin.
Einen Wermutstropfen gibt es für Krebs aber dann doch: «Der letzte Bus fährt schon um 20.30 Uhr nach Pohlern!» Er bedauert das sehr und wünscht sich für alle Randregionen Verbindungen bis mindestens 22 Uhr. Schliesslich ist das Highlight in seiner Gemeinde der Ausflugsort Restaurant Rohrmoos, in einem der schönsten Bauernhäuser entlang des Stockentaler Hauswegs, zwischen Oberstocken und Blumenstein. Für seinen urchigen Sonntagsbrunch ist das Gasthaus schweizweit bekannt und oft auf Monate ausgebucht. Ein Besuch im Rohrmoos ist donnerstags bis samstags auch am Abend möglich und dann zählt jede Stunde. So wäre der Bus nach halb neun quasi «dr Tupf Nidle obedruf».
Barbara Marty


Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3638 Pohlern
Einwohner: 235
Fläche: 1000 ha
Wald: 338 ha
Höchster Punkt: 2075 Meter über Meer
Steuerfuss: 1.72
www.pohlern.ch


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