Seit 30 Jahren Perspektiven durch Arbeit

  04.09.2025 Reportagen

Ein Schicksalsschlag verändert alles. Eine Krankheit schränkt einen ein. Gerade dann kann sinnvolle Arbeit neuen Lebensmut geben. Deshalb setzt sich TRANSfair ein, dass Menschen, die psychisch besonders herausgefordert sind, den Wiedereinstieg in die Berufswelt finden – seit 30 Jahren. Wie? Das zeigt ein Besuch am Hauptsitz.

Vor dem Gebäude von TRANSfair in Thun steht ein Lieferwagen. Er ist beschriftet mit dem Foto eines Mannes, der aus einer Kartonschachtel auszubrechen scheint und mit dem Slogan: «Bei uns sprengen alle über kurz oder lang ihre Grenzen.» Das Motiv und der Spruch symbolisieren: Bei TRANSfair denkt man über den Schachtelrand hinaus. Die Botschaft sagt aber auch: Manchmal stossen Menschen an ihre Grenzen. Zum Beispiel, wenn sie durch eine psychische Krise oder eine Beeinträchtigung eingeschränkt sind, zeitweise – oder für immer. «Bei TRANSfair sind wir überzeugt, dass jeder Mensch einen Beitrag in der Arbeitswelt leisten kann – mit allen Wesenszügen, Stärken und Schwächen», sagt Benjamin Ritz, Geschäftsführer der Sozialunternehmung, «gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft schaffen wir Rahmenbedingungen für eine nachhaltige berufliche Integration.»

So vielfältig wie die Mitarbeitenden von TRANSfair sind deren Arbeitsbereiche. Das zeigt ein Rundgang durchs Hauptgebäude. Im Parterre befindet sich das Restaurant fairpflegig und die Grossküche. Mitarbeitende mit und ohne Beeinträchtigung schnippeln Gemüse. Der Geruch von Zwiebeln, die geröstet werden, steigt einem in die Nase. Hier kocht das Gastronomie-Team auch Mahlzeiten für Kitas, Schulen und Heime.

Familiäres Klima, Ecken und Kanten
In Vollbetrieb ist die Lebensmittelproduktion. Auf Rezept von Partnern entstehen Saucen oder Bouillon, die direkt in Gläser abgefüllt werden. In der Konfektion kriegen die Behälter ihre Etikette. Wer hier mitwirkt, braucht Fingerspitzengefühl, jeder Aufkleber soll passen. Genauigkeit ist auch beim Falten von Verpackungen, in der Seifenproduktion oder beim Abfüllen von Aromasprays gefragt. Hier duftet es nach Lavendel oder Arvenholz.

Holz – nicht als Aroma, sondern als nachhaltigen Rohstoff – nutzt das Team der Montage und Fertigung. In ihrem Areal im Erdgeschoss sägen Mitarbeitende, schrauben Holzroste zusammen oder flechten Lawinenschutznetze. Regelmässig reist jene Equipe zu Partnerfirmen, baut z.B. Möbel zusammen. Bei ihrer körperlich fordernden «Büez» schätzt die Truppe das wertschätzende Klima bei TRANSfair. «Es ist familiär und ein lustiger Spruch hat Platz», sagt Sam, der seit vielen Jahren bei TRANSfair arbeitet, «ob Hörgerät, seelische Sorgen oder wie ich Epilepsie – alle haben doch eine Baustelle in sich. Hier kann jeder sein, wie er ist.» Je nach Beeinträchtigung arbeiten die Menschen teilzeit und werden von der Invalidenversicherung unterstützt. «Es ist wichtig, dass die Gesellschaft versteht, wie wertvoll die Arbeit von jedem ist», betont Abteilungsleiter Sascha Weidner, «und dass es ok ist, Ecken und Kanten zu haben.»

Ecken und Kanten haben auch Kartonboxen. Solche sind bei TRANSfair en masse zu finden, etwa in der Versandlogistik. Hier treffen via Webshop täglich Bestellungen ein. Eine Mitarbeitende sammelt im Lager die Produkte zusammen. Ihr Kollege verpackt diese, klebt die Adresse aufs Paket und schickt es auf die Reise zum Kunden.

Mehr Arbeitsbereiche, mehr Mitarbeitende
Die Reise von TRANSfair begann 1994. Die Berufliche Förderung & Klärung (BFK) der Psychiatrischen Dienste am Spital Thun erteilte den Auftrag, begleitete Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Im selben Jahr eröffnete TRANSfair einen Laden im Spital Thun. 1995 erfolgt die offizielle Gründung, erste Büroarbeitsplätze entstehen. Seither expandierte TRANSfair über Vertrieb, Lager, Konfektion, E-Commerce, Gastronomie und wandelte sich 2009 formell in eine Stiftung um. Von 48 Mitarbeitenden 1998 am Standort Bierigut, wuchs das Unternehmen bis 2002 auf 144 Angestellte. Am 2017 erbauten Hauptsitz und in Aussenstationen sind heute bis 490 Menschen für TRANSfair tätig. Das Unternehmen betreibt u.a. das Restaurant Zündkapselfabrik und das fairpflegig in Steffisburg und Gwatt. Die Vision: stetig mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung schaffen.

Ein Herzstück bei TRANSfair ist das Team der Beruflichen Integration. Job Coaches, Gruppenleitende und Arbeitsagog:innen unterstützen die Menschen auf dem Weg zurück in die Arbeitswelt. Im ersten Schritt klärt man Stärken und Ressourcen. Durch Erfolgserlebnisse gewinnen die Teilnehmenden Stabilität und Selbstvertrauen. Sie können die erarbeiteten, gesunden Strategien ausprobieren und trainieren. Zuerst bei TRANSfair, später bei externen Firmen, die langfristige Anschlusslösungen bieten und so die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen.

Im 4. Stock des Hauptsitzes ist die Administration daheim. Hier brütet auch die Geschäftsleitung Ideen aus. Seit diesem Jahr ist sie zusammengesetzt aus Benjamin Ritz (Geschäftsführer), Stefan Joos (Leitung Betriebe), Barbara Holliger (Personelles, Integration und Digitalisierung) sowie Stephanie Albert (Marketing). Die zwei Frauen arbeiten Teilzeit. Das zeigt: bei TRANSfair ist man offen für flexible Arbeitsmodelle und gibt auch so Menschen eine Perspektive – seit 30 Jahren.


Willkommen am Tag der offenen Tür
Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums präsentiert sich TRANSfair der Öffentlichkeit. Die Sozialunternehmung lädt am Samstag, 6. September 2025 von 10 bis 16 Uhr zum Tag der offenen Tür im Schoren 23.
Ob Grossküche, Lager, Abfüllstationen oder Montage – auf einem Rundgang ist zu erleben, wie die Mitarbeitenden mit und ohne Beeinträchtigung ihren Beitrag leisten. Auf jedem Stockwerk erzählen Menschen aus ihrem Arbeitsalltag. Wer vor Ort ein Quiz ausfüllt, erhält als «Belohnung» ein hausgemachtes Glacenheit-Eis.

Mitmachaktionen und Gaumenfreuden
Die Gäste sind zum «Mitarbeiten» eingeladen. Beim Gebäudemanagement steht eine Reinigungsmaschine für eine Teststrecke bereit und in der Logistik ein Stapler zum Probesitzen. Das Team der beruflichen Integration macht erlebbar, wie TRANSfair Inklusion durch Arbeit fördert: wer möchte, kann Tools testen, die im Job Coaching eingesetzt werden. In der Konfektion darf beim Etikettieren mitangepackt werden, in der Fertigung bei Handwerksarbeiten. In der Gastro-Ecke mischt man sich den eigenen Eistee.
Der Tag der offenen Tür ist ein Event für alle Sinne – dank Geräusche- und Düfte raten und Gaumenfreuden: Das Team des Restaurant fairpflegig bereitet Hotdogs zu mit selbst kreierten Saucen. Daneben gibt es Foodtrucks. Die Kleinsten vertreiben sich die Zeit beim Spielbus.

Infos: www.trans-fair.ch/openday


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