Sie spielte für Rot-Schwarz Thun – jetzt pfeift sie an der Women’s EURO
12.06.2025 Sport-ReportagenWenn im Juli Finnland, Island, Norwegen, Spanien und Belgien an der Women’s EURO in der Thuner Stockhorn Arena um Punkte kämpfen, ist gut möglich, dass eine ehemalige Spielerin von Rot-Schwarz Thun auch einläuft. Nicht, weil sie die Nation gewechselt hat und jetzt plötzlich als Isländerin mit dem Namen Petersdottir spielt, nein, die ehemalige 13-fache Nationalspielerin Désirée Grundbacher ist von der UEFA aufgeboten worden, an diesem Grossanlass in der Schweiz als Schiedsrichterin zu amtieren.
Klar, wer wo welches Spiel pfeifen wird, entscheidet die UEFA-Schiedsrichter-Kommission kurzfristig. Doch die Tatsache, dass eine ehemalige Aktive von Rot-Schwarz Thun als Unparteiische mitwirkt, ist beachtenswert, auch wenn sie statt in der Kyburgstadt in Sion oder St. Gallen pfeifen würde. Die Reise, die Désirée Grundbacher in ihrem Fussballerinnenleben bisher hinter sich gebracht hat, ist einmalig.
Zu Zeiten, als Spielerinnen wie Lara Dickenmann, Martina Moser und Ramona Bachmann zum Stamm des Schweizer Frauen-Nationalteams zählten, war sie eine Mittelfeldspielerin mit viel Talent. Ein schnörkelloses, zielgerichtetes Spiel, verbunden mit ausgeprägtem Teamgeist, zeichneten die Bernerin aus. Sie spielte so, wie sie heute in den grossen Stadien des Weltfussballs als Schiedsrichterin auftritt. Gradlinig, unaufgeregt, lauffreudig, in der Absicht, die bestmögliche Leistung zu erbringen.
Sie war 13-fache Nationalspielerin, Cupsiegerin und Vizemeisterin, als ihr ein Vertrag als Halbprofi bei GC auf dem Tisch vorlag. Doch für viele überraschend, entschied sie sich gegen GC und für das Schiedsrichterwesen. Schon damals pfiff sie Spiele in unteren Ligen, bewies viel Talent und erhielt deshalb vom Verband das Angebot, in eine höhere Liga aufzusteigen, doch nur unter der Bedingung, dass sie vom aktiven Fussball zurücktritt. Désirée Grundbacher entschied sich gegen die Aktivkarriere als Spielerin und so begann ihr kometenhafter Aufstieg als Unparteiische. Schon 2012 wurde sie FIFA-Schiedsrichterin, im April vergangenen Jahres pfiff sie ihre erste Partie in der Super League und bereits sind mehr als ein Dutzend weitere Begegnungen dazugekommen. Ende
März bot der Schweizerische Fussballverband Désirée Grundbacher als Schiedsrichterin des Finals des AXA Women’s Cup zwischen dem FC Basel 1893 und dem FC Zürich auf. Dies war keine Überraschung. Eine Premiere im Schweizer Fussball war hingegen, dass sie von zwei Frauen (Susanne Küng und Linda Schmid) assistiert wurde und auch die vierte Offizielle, Laura Mauricio ebenso wie die VAR im Video Operation Room in Volketswil (Michèle Schmölzer und Déborah Anex) ausschliesslich Frauen mit FIFA-Status sind.
Und jetzt an der
UEFA Women’s EURO
Vom 2. bis 27. Juli findet in der Schweiz die UEFA Women’s EURO statt. Im Aufgebot der UEFA-Schiedsrichterkommission fand erwartungsgemäss Désirée Grundbacher als Schiedsrichterin Berücksichtigung, dazu stehen auch die beiden Assistentinnen Susanne Köng und Linda Schmid im Einsatz.
Weil die UEFA den Schiedsrichterinnen ein «silenzio stampa» auferlegte, darf uns die Frau aus dem Westen Berns im Moment keine Auskunft erteilen. Doch aus einem Gespräch, das wir früher mit Grundbacher führten, wissen wir, was die Frau, die in einem Match auch einmal 14 km läuft, zu ihrem Wechsel von der Fussballerin zur Schiedsrichterin sagt: «Ich war es satt, all meine Ferien für Nationalteam-Zusammenzüge aufzuwenden, hatte andere Ziele. Ich wollte eine Familie gründen, Kinder haben – das alles hätte sich mit dem Leben als Halbprofi neben dem Beruf nicht vereinbaren lassen.» Und weil sie als Aktive für die Unparteiischen keine einfache Spielerin war, sondern eine, die oft und gerne reklamierte, weiss sie, dass die Spielerinnen und Spieler während einer Partie oft nicht nur mit der Schiedsrichterin oder dem Schiedsrichter, sondern auch mit sich selbst lautstark hadern. «Ich habe vielleicht ein bisschen mehr Verständnis, weil ich mich auch in die Haut der Aktiven versetzen kann.»
Mittlerweile ist die Belastung für die Mutter von zwei Buben nicht kleiner geworden. Sie arbeitet zu 50 Prozent bei einer Krankenkasse und hält sich mit viermal wöchentlichem Training fit, «denn wenn man fit ist, befindet man sich näher am Ball, hat mehr Sauerstoff im Kopf und kann so bessere Entscheide fällen», erklärte sie in einem Gespräch auf SF DRS.
Das unschlagbare Traumduo
Begonnen hat die Fussball-Leidenschaft bei Désirée Grundbacher, wie auch bei vielen «Bärner Giele», in den Achtzigerjahren auf einer Wiese an der Melchiorstrasse im Westen von Bern: Baykal Kulagsizoglu-Bellusci und Désirée Grundbacher besuchten im Bethlehemacker zusammen die Schule und jagten in jeder freien Minu-
te dem Lederball hinterher. Wurden Mannschaften zusammengestellt, wollten alle mit Désirée und Baykal im selben Team sein. Kein Wunder: Désirée wurde 13-fache Nationalspielerin und ist heute FIFA-Schiedsrichterin, Baykal spielte lange in der obersten Spielklasse in der Schweiz, der Bundesliga, der Türkei und in Bulgarien. Sie waren die Besten, verstanden sich blind und sind noch heute eng mit dem Fussball verbunden.
Vom Westen Berns ging es für die heutige Spitzenschiedsrichterin weiter. Bei ersten Versuchen beim FC Bethlehem und beim FC Ostermundigen (1. Liga und Nationalliga B) wurde schon bald einmal ihr überdurchschnittliches Talent erkannt und wechselte sie in die Nationalliga A zum FC Rot-Schwarz Thun, der bekanntlich ab nächster Saison in den FC Thun Berner Oberland integriert wird. Zwei Jahre lang trug sie das
Dress der Oberländerinnen, ehe sie von GC verpflichtet wurde und erste Aufgebote ins Nationalteam erhielt, nebenbei pfiff sie Spiele in unteren Ligen. Grundbacher war eine der ersten Schweizer Spielerinnen, denen ein Vertrag als Profi angeboten wurde, doch gleichzeitig meldete sich die Schiedsrichterkommission und teilte ihr mit, dass eine Promotion nach oben nur möglich sei, wenn sie ihre Spielerkarriere beende. Schweren Herzens entschied sich Grundbacher gegen die Aktiv-Karriere und setzte voll auf die Schiedsrichterei. Richtigerweise, ist man im Nachhinein versucht zu sagen. Die Schweiz verlor zwar eine Nationalspielerin, der Fussballverband, später auch die UEFA und die FIFA, gewannen jedoch eine Schiedsrichterin, die heute nicht nur in der Schweiz zu den Allerbesten zählt.
Pierre Benoit
Dèsirée Grundbacher
Geboren am 16. August 1983 in Bern. Mutter von zwei Knaben.
Stationen als Spielerin
1990 – 1999 FC Bethlehem
1990 – 1999 FC Bethlehem
1999 – 2003 FC Ostermundigen
2003 – 2005 FC Rot-Schwarz Thun
2005 – 2008 Grasshopper Club / FC Schwerzenbach 13 Länderspiele / 1 Tor
Stationen als Schiedsrichterin
Seit 2012 FIFA-Schiedsrichterin
2013 – 2016 Promotion League und 1. Liga
Anschliessend Challenge League
Seit 2024 Super League
Nominiert für die Women’s EURO 2025
Women’s EURO 2025 in Thun
2. Juli, 18 Uhr: Island – Finnland
7. Juli, 18 Uhr: Spanien – Belgien
10. Juli, 21 Uhr: Norwegen – Island