«Unsere Fusion ist eine Vernunfthochzeit»

  06.07.2023 Reportagen

Auf der Zielgeraden seiner Amtszeit im Gespräch mit Beat Wenger, Gemeindepräsident von Reutigen, über die Besonderheiten des Dorfes mit der Stockhornkette im Rücken. Wo die Nähe zu Thun auf der Hand liegt, sehen sowohl die Reutiger:innen als auch die Zwieselberger:innen ihre Fusion als sinnvoll.

Es ist vollbracht: Nachdem die Gemeinde Reutigen am 12. Juni 2023 mit nur einer Gegenstimme die Fusion angenommen hatte, stimmte am 28. Juni 2023 auch die Gemeinde Zwieselberg dem Zusammenschluss mit einer Zweidrittelmehrheit zu. Per 1. Januar 2024 wird also die politische Gemeinde Reutigen um 330 Einwohner:innen aus Zwieselberg grösser und erhält verwaltungstechnisch und politisch mehr Gewicht. «Bereits im Jahr 2021 starteten wir beiderseits unsere Fusionsabklärungen», erzählt Beat Wenger, seit 23 Jahren Gemeindepräsident von Reutigen. Die Fusion zählte zu einem der interessantesten Projekte während seiner Amtszeit, die er Ende Jahr, glücklich über den jüngsten Entscheid, beenden wird. Bereits vor der Fusion bezeichnete der pensionierte selbstständige Unternehmer diese als: «eine sinnvolle Vernunfthochzeit».

«Wir haben unter anderem schon seit langem Wasser und die Schule sowie gewisse Teile des Kehrichts gemeinsam mit Zwieselberg organisiert. Auch die Feuerwehr ist am gleichen Ort – und die Fusion ist ein kluger, logischer Entscheid.» Zumal so «mehr Dienst am Kunden» möglich ist. Die Gemeindeverwaltung von Zwieselberg hat noch bis Ende Jahr jeweils montagvormittags physisch geöffnet; die übrige Zeit ist sie nur telefonisch erreichbar. Im neuen Jahr wird die grössere Gemeindeverwaltung Reutigen die Anlaufstelle für sämtliche Verwaltungsangelegenheiten sein. «Vieles wird durch die Fusion optimiert – eines unserer Ziele ist das Optimieren und das Einsparen von Kosten», sagt Beat Wenger. In den ersten zwei Jahren ist Sparen jedoch noch nicht möglich. Diese Zeit mitsamt Ressourcen gehört dem organisatorischen Aufbau.

Was sich ändert
Ein weiteres durchschlagendes Argument für die Fusion war die finanzielle Ebenbürtigkeit der beiden Gemeinden mit demselben Steuerfuss von 1.75. Als Vorteil gilt zudem: «wir kennen einander und haben zusammen ein gutes Vereinsleben; viele vom Zwieselberg wirken schon lange aktiv bei uns in einem Verein oder in der Feuerwehr mit.» Im Dezember 2023 stehen die Gesamterneuerungswahlen zuoberst, und ab 1. Januar 2024 startet die Gemeinde Reutigen mit einem frischen Gemeinderat und neuen Strukturen: Der Gemeinderat umfasst dann sieben Mitglieder, davon zwingend zwei aus Zwieselberg und zwei aus Reutigen, sowie das neu zu wählende Präsidium.
Wer als Gemeinde fusioniert, erhält vom Kanton Geld: «Pro Person sind das 400 Franken, was für uns rund 550’000 Franken bedeutet», informiert Wenger. Politisch heisst die Gemeinde ab Januar 2024 einheitlich Reutigen. Zwieselberg behält die eigene Postleitzahl und wird wie Stadi, Hani, Dorf und Moos zu einem Ortsteil. Es wird ausserdem eine neue Website und ein neues Wappen geschaffen. So wird das bestehende Reutiger Wappen und Familienwappen von Hans Schütz abgelöst. Schütz stammte aus einer angesehenen Herrschaftsfamilie, die im 15. Jahrhundert die örtlichen Rechte besass. 1945 wurde sein Familien-Emblem zum Gemeindewappen.

Hemdsärmelig und hilfsbereit
In Reutigen pflegt man eine gute Dorfgemeinschaft und ist froh über die Dorfmetzgerei und den Dorfladen – «es ist ein richtiges Dorf, sehr natürlich und ländlich mit schöner Natur in einem vielfältigen Naherholungsgebiet», umschreibt Beat Wenger. Er wohnt mit seiner Frau, einer Reutigerin, seit 38 Jahren im Ort. Davor lebte das Ehepaar zwei Jahre in Zwieselberg. Der 65-Jährige, gebürtige Steffisburger hält fest: «Dass es hier phasenweise im Winter recht schattig ist, ist halb so schlimm – man kann nicht alles haben.»

Die Familiennamen sind im übrigen häufig: Kernen, Krebs, Spring und Thönen. Ihr Berühmtester ist der ehemalige Skirennfahrer Bruno Kernen. Die Leute seien im Grunde ihres Wesens aufgeschlossen und hilfsbereit, sagt der Gemeindepräsident und weiter: «Auch wenn der erste Eindruck manchmal etwas eigenwillig anmutet – im direkten Gespräch kann das Eis gebrochen werden».

Apropos Eis: Es gibt in Reutigen nebst einer Fischzucht auch eine Natureisbahn. Ihr kommt der winterliche Bergschatten sehr zugute, wenn die Kinder da «schlöfle» oder der HC Wimmis-Reutigen übers Eis fegt. «Das Natureis unterhalten Freiwillige, zumeist Pensionäre – sie sind unentbehrlich», informiert Wenger.

Die Wohnbevölkerung ist zu einem Viertel über 65-jährig. Der Pendelverkehr ist nach Thun und Bern ausgerichtet – morgens und abends fahren die Busse daher im Halbstundentakt. «Im Auto sind wir in zehn Minuten in Thun, in fünf Minuten am See und in 15 Minuten im Skigebiet – Wiriehorn, Diemtigtal», schwärmt Wenger. Und in Zukunft? Dazu der Gemeindepräsident: «Wir wollen Sorge tragen zum Dorf und so bleiben wie wir sind: ländlich, gut aufgestellt, mit guten Diensten für die Bevölkerung und noch weiter ausgebauten Strukturen.» So will man für Familien interessant bleiben. Dazu ist die Schule zentral – aufgrund des Lehrplans21 benötigt sie mehr Platz: «Wir schauen nun, was punkto zusätzlichem Schulraum in der Gemeinde machbar ist.»

Schliesslich betont Beat Wenger die gute Versorgung der Gemeinde mit kristallklarem Wasser aus der Harnischlinge Quelle in der Stockhornkette. Ausserdem weist er auf die starke Burgergemeinde hin, die den wichtigen Schutzwald «ob em Dorf» pflegt und in Reutigen einen hohen Stellenwert innehat. Sie besitzt und bearbeitet noch weitere Waldflächen und Kiesgruben auf Gemeindeboden. Seit den 1980-er Jahren unterhält man eine Schnitzelanlage mit Holzschnitzelheizung im Sagi-Quartier, welche im Jahr 2018 durch eine neue Anlage im Hani ersetzt worden ist. Aktuell werden so 100 Liegenschaften gespiesen. «Das Holz kommt aus der Gegend, etwa aus dem Burgerwald – und wir sind glücklich über unseren zukunftsfähigen Wärmeverbund», sagt Beat Wenger.

Barbara Marty


Zahlen und Fakten
Gemeinde: 3647 Reutigen
Einwohner: 1037
Fläche: 1129 ha
Wald: 375 ha
Höchster Punkt: 1760 Meter über Meer
Steuerfuss: : 1.75
www.reutigen.ch


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