Wer die Goldammer stört, dem kann der Appetit vergehen

  20.11.2019 Saisonmagazin

Die Goldammer ist das ganze Jahr bei uns. Früher galt sie in Europa als meistverbreitet – die Förderung der Artenvielfalt und achtsame Landwirtschaft kommen ihr wieder zugute. Doch „Weh“ dem, der sie stört … inklusive einer Geschichte von Hanspeter Latour.

Das Merkmal Gold ist für den Vogel mit dem gelben Federkleid des Männchens an Kopf und Unterseite sehr passend. Die Goldammer (Emberiza citrinella) liebt ländliche Gegenden mit Hecken und Waldrändern. Wo sich diese Samenfresser aufhalten, ist die Landschaft intakt. Eigentümlich ist ihr lieblicher Gesang, der bis in den Sommer hinein hörbar ist. Die Goldammer ist ein in der Schweiz weitverbreiteter Singvogel. Vogelkundler hören aus dem Gesang des Männchens den Refrain «Ach, wie hab ich dich lieb» heraus. Ihr Gesang wurde denn nicht nur von Beethoven in seiner 5. Symphonie aufgegriffen. Er war auch Joseph von Eichendorff bestens vertraut. In seiner Erzählung: „Aus dem Leben eines Taugenichts“ gibt der Gesang der Goldammer die wechselnde Stimmung der Jahreszeiten wider: „Immer betrübt“ singt sie in Herbst und Winter: „Bauer, miet mich, Bauer miet mich!“, während sie „ganz stolz und lustig“ das Frühjahr einläutet mit: „Bauer, behalt deinen Dienst!“
Der Gesang der Goldammer ist jahreszeitlich länger als der von anderen Singvögeln zu hören und gehört zur Kulturlandschaft. Kaum ein Vogel hat so von der Landnutzung durch den Menschen profitiert wie die Goldammer. Als ursprünglicher Bewohner der Waldsteppen ist sie dem Menschen nach Mitteleuropa gefolgt. Hört man ihr Lied, ist der etwa sperlingsgrosse Sänger zumeist leicht auszumachen, denn er sitzt gerne exponiert auf einem Baum, einem höheren Strauch oder einem Leitungsdraht.

«Wenn mir der Appetit vergeht»
Hanspeter Latour hat uns seine Geschichte mit der Goldammer erzählt: «Im Innereriz hat es immer etwa Goldammern. Dieser Vogel bleibt auch im Winter da. Und die Goldammer ist dankbar für Futter. Bei meinem Nachbarn ging er allenthalben zu den Hühnern, um dort vom Hühnerfutter etwas abzukriegen. Da er sich oft und gerne erhöht aufhält, fehlte mir damals noch ein gutes, nahes Bild von ihm, und beim Nachbarn wollte ich das nicht gerne festhalten. Also beschloss ich eines schönen Morgens so gegen neun Uhr, ihn mit ein paar Sonnenblumenkernen an einer schönen Stelle in meinem Garten zu ködern. Danach habe ich mich versteckt und gewartet und gewartet. Alle Vögel kamen, nur die Goldammer nicht. Kurz vor zwölf Uhr mittags kam sie dann und nicht allein. Sie brachte ihre ganze Familie mit. Also sassen da auf einmal: ein Goldammer-Pärchen mit zwei ihrer Jungvögel, schön in ihrer ganzen Pracht anzusehen. Sie hielten sich nun endlich ganz unweit von mir und auf guter Höhe im Holunderstrauch auf. Mein Herz schlug höher vor Freude ob diesem einzigartigen Anblick. Das Warten hatte sich wahrlich mehr als gelohnt, wer hätte das gedacht! Wie in Zeitlupe weiss ich noch heute fast jeden meiner darauffolgenden Handgriffe: Ich umfasste meine Kamera und hob sie in den Anschlag – quasi schon siegessicher, in grosser Vorfreude. Doch im selben Moment – oh, Weh – hörte ich vom Haus her, wie das Küchenfenster aufging und „Thildi“ meine Frau rief: „Hanspeter, ässe!“ Worauf die ganze goldene Vogelfamilie flugs verschwand. Sie verstehen, dass mir der Appetit in dem Moment etwas verging. Einzelne Goldammern habe ich seither viele fotografiert, jedoch ist mir keine so prachtvolle Gruppe mehr begegnet. Doch wer weiss, was der Herbst und Winter uns bringen werden!» schliesst Hanspeter Latour seine Anekdote schmunzelnd ab.


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